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Bericht
13.05.2021
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Podium II: Auf dem Weg zu einer individualisierten Agrarwirtschaft

5. CXO-Event Sylt

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Die Digitalisierung macht auch vor der Landwirtschaft nicht Halt. Mit vielfältiger Sensortechnik, der Erfassung von Karten- und Bodendaten sowie Klima- und Umweltfaktoren werden individualisierte Behandlungen von Pflanzen immer bedarfsgerechter möglich. Die Auswertung der Ernteergebnisse liefert dann Erkenntnisse für weitere Schritte hin zu einer wirtschaftlicheren Landwirtschaft. Kurzum: Big Data sorgt für neue Herausforderungen und verändert die Anforderungen an die Landwirte. Wie kann der Agrarstandort Deutschland bei diesem technologischen Wandel eine führende Rolle einnehmen? Um diese Frage drehte sich das Podium „Landwirtschaft 4.0 mit Big Data“ beim 5. CXO-Event 2021 des Wirtschaftsrates Schleswig-Holstein.

 

Moderator Jan Henrik Ferdinand begrüßte zum Einstieg in das Thema einen europaweiten Vorreiter in datenbasierten Agrarwirtschaft. Jacob van den Borne, geschäftsführender Inhaber der van den Borne Aardappelen aus Reusel in den Niederlanden, stellte anhand von 16 Schritten vor, wie sein Unternehmen seit 2006 mit verschiedenen Präzisionstechnologien die landwirtschaftliche Produktion unter Ausnutzung zahlreicher technischer und digitaler Werkzeuge hochmodern aufgestellt hat. „Digital-, Smart- oder Processing-Farming haben eines gemeinsam: Es geht - wie schon immer in der Landwirtschaft - um die Frage, zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle das Richtige zu machen.“

 

Schon der Großvater arbeitete mit Aufzeichnungen

Van den Borne machte deutlich, dass die heute mit Technik entwickelten Vorgehensweisen vergleichbar seien mit der Arbeitsweise seines Großvaters. „Er hat schon 1959 jeden Abend alles, was er gemacht hat und was ihm aufgefallen ist, aufgeschrieben und daraus für die Zukunft gelernt“. Dieses Vorgehen sei irgendwann verloren gegangen und „heute greifen wir das in moderner, datenbasierter Form wieder auf.“ Der Unternehmer skizzierte alle Faktoren, die heute berücksichtigt werden, um daraus eine erfolgreichere Bewirtschaftung der Ackerflächen zu erreichen. Das reiche von der Ermittlung der Leitfähigkeit des Bodens, über Ertragsmesssysteme und Sensoren an den Geräten bis hin zu Drohnenflügen zur Feststellung von Unkrautbelastungen. „Wir haben zusammen mit vielen Partner aus der Weiterverarbeitung in den vergangenen 16 Jahren durchaus auch Lehrgeld bezahlt, aber in Summe hat es sich gelohnt, weil die Ernteergebnisse deutlich besser sind“, so das Fazit von van den Borne. Sein Ziel sei es, das gesammelte Wissen durch Seminar an andere Landwirte weiter zu geben. „Fest steht für mich aber auch, dass die Landwirtschaft 4.0 zwar viele digitale Assistenten haben wird, aber der Mensch das Handeln nie aus der Hand gibt.“

 

Systemwandel steht kurz bevor

Die sich anschließende Diskussion beschäftigte sich mit den Rahmenbedingungen für eine Landwirtschaft 4.0 und deckte – in Ergänzung zum Impulsreferat – dabei viele weitere Facetten ab. Olaf Birkner, geschäftsführender Gesellschafter der Terraforma Accelerator Skolkovo (Moskau), sieht die Landwirtschaft kurz vor einer beginnenden Disruption. „Wir müssen uns bewusst sein, dass bestehende Verfahren mit Start-ups zügig verbessert werden und ein Systemwandel durch neue softwarebasierte Proteine kommen wird.“ Die klassische Tierhaltung werde quasi „über Nacht abgelöst und das, was da kommt, ist bisher zu wenig in den Köpfen vorhanden.“

 

Fördersystematik reformieren

Dr.-Ing. Florian Knoll, Gründer und Leiter Forschung & Entwicklung der Naiture GmbH (Friedrichskoog) sieht Deutschland zu konservativ aufgestellt, wenn es um die Landwirtschaft 4.0 geht. Sein Unternehmen hat einen Roboter entwickelt, der das Unkraut in einem Anbaufeld erkennt und mechanisch entfernt. Knoll: „Eines unserer Probleme ist die Laufzeit von Förderprojekten. Die Förderung von interessanten Innovationen fällt oft am Ende einer Laufzeit über Nacht vollkommen weg und damit auch häufig die Perspektive, die Marktreife für eine Neuentwicklung zu schaffen.“ Er appellierte dafür, das Fördersystem zu reformieren oder neue Finanzierungsformen zu erschließen.

 

Mehr die Vorteile für die Pflanzen vermitteln

Dr. Carsten Struve von Agronomic Validation & Verification Test Lead bei der John Deere GmbH & Co. KG (Kaiserslautern) sieht Unterschiede, wie an Innovationen herangegangen wird. „In der EU steht die Frage, wie der strenger werdende gesetzliche Rahmen eingehalten werden kann, ohne Erträge zu verlieren, stark im Fokus. In vielen Ländern hingegen überwiegt die Frage, wie mehr Ertrag erzielt werden kann“, so Dr. Struve. Zudem würden Landwirte durchaus das Potenzial beispielsweise von modernen sensorgesteuerten Maschinen erkennen, aber das Risiko noch scheuen. „Unser Ziel ist es daher neutral und lokal zu beweisen, dass unsere Maschinen und Lösungen Vorteile für die Pflanzen & Tiere und damit den Ertrag bieten.“ Eine zentrale Aufgabe bestehe darin, Landwirten mehr Wissen und Erfahrungen mit neuen technologischen Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Dies wird dann den optimalen Einsatz der Lösungen zum Wohle der Pflanzen, Tiere und Erträge bewirken.

 

Datenbereitstellung muss verbessert werden

Für Dr. Matthias Nachtmann, Data Business Development Lead bei BASF SE (Ludwigshafen) und Vorstandes  Förderverein Digital Farming e.V. (Kaiserslautern), ist eine der großen Aufgaben, die Datenbereitstellung und -durchlässigkeit zu verbessern. „Es fehlt oft an erforderlichen Daten der Behörden und es gibt deutschlandweit zu viel Klein-Klein.“ Wenn Betriebe perspektivisch mit Ressourcen noch bedachter umgehen sollen und die digitale Landwirtschaft als ein gutes Werkzeug angesehen wird, „dann müsse auch von staatlicher Seite die Voraussetzungen geschaffen werde, dass der Einsatz innovativer Verfahren möglich wird“. Das sei in anderen Teilen der Welt heute deutlich einfacher. Mit dem Verein verfolge man das Ziel, beim Datenmanagement vorwärts zu kommen und baue auf Partner und Fördergelder, um neue Systeme testen zu können.

 

von Abercron: Noch in den Kinderschuhen

Und wie denkt die Politik über die Landwirtschaft 4.0? Dr. Michael von Abercron, Mitglied im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft im Deutschen Bundestag, spricht davon, dass „die Voraussetzungen in unserem Land noch in den Kinderschuhen stecken.“ Es sei dringend an der Zeit, mit bessere Rahmenbedingungen zu schaffen. Als ein Beispiel nannte er den Ausbau des 5G-Funknetzes. Zudem müsse seitens der Politik dringend für Klarheit gesorgt werden, wer der Herr über die ermittelten Daten ist. Der Christdemokrat aus Elmshorn: „Wer ist Eigentümer der Daten? Wer bekommt Zugriff auf was? Das muss geregelt werden.“ Es sei für die Entwicklung der Landwirtschaft 4.0 im Jahr 2019 bereits einmal 45 Millionen Euro an Fördergeld bereitgestellt worden, „doch ich bin überzeugt, dass wir hier deutlich mehr machen müssen, um unsere Landwirte in eine bessere Position im Wettbewerb zu bringen.“

 

Die Datenhoheit ist im Kontext von Big Data ein wichtiges Themenfeld, welches von Politik und Wirtschaft deutlich umfangreicher zu adressieren gilt. Hierzu merkte Dr. Struve an, dass die Datensouveränität bei den John Deere-Systemen bei den Vertragspartnern liege, die dazu ihre Präferenzen selbst steuern können. Für eine erfolgreiche Wertschöpfung aus den unterschiedlichen Datenquellen müssen deshalb klare Regeln formuliert und verstanden sein, um langfristige Wettbewerbsvorteile der deutschen Landwirtschaft zu generieren.

 

Der Landesvorsitzende des Wirtschaftsrates Schleswig-Holstein, Dr. Christian von Boetticher, wünschte sich abschließend, dass die geballte industrielle Kompetenz in der Runde auch stärker die Beratungsstrukturen der Bundesregierung prägen müsse, wo leider vor allem Umweltverbände und Wissenschaftler den Ton angeben würden.