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Bericht
21.10.2020
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"Deutschland muss heraus aus der negativen Konsenspolitik"

Friedrich Merz zu Gast beim Wirtschaftsrat Schleswig-Holstein – Kanzlerkandidatur als Ziel

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„Heimspiel“ für Friedrich Merz: Viel Applaus für sich und sein Programm im Wettstreit um die Wahl zum CDU-Bundesvorsitzenden im Dezember hat der Jurist am Donnerstag (22.10.2020) in Lübeck geerntet. Er war auf Einladung des Landesverbandes Schleswig-Holstein des Wirtschaftsrates zu Gast in der Schiffergesellschaft. Merz, der auch Vizepräsident des CDU-nahen Verbandes ist, brachte klare Botschaften mit: Die CDU müsse in Zeiten des Klimawandels für eine ökologisch erneuerte soziale Marktwirtschaft und für eine auf eine starke EU ausgerichtete Politik stehen. Er ließ – auch wenn er es nicht direkt formulierte – keine Zweifel aufkommen, dass sein Ziel das Amt des Bundeskanzlers ist. Kein Systemwechsel erforderlich Merz machte gleich zu Beginn deutlich, dass die Umweltpolitik das beherrschende Thema der „Agenda für Deutschland“ in den nächsten Jahren sein wird. „Wir haben mit dem Klimawandel ein massives Problem, ganz egal, wieviel Prozent davon menschengemacht sind.“ Für ihn stehe fest: „Wir brauchen keinen Systemwechsel, wie ihn die Grünen fordern, sondern eine ökologische Erneuerung der Marktwirtschaft.“ Die Einführung des CO2-Zertifiktatesystems sei für ihn ein gelungenes Beispiel. Es zeige, wie mit marktwirtschaftlichen Instrumenten externe Umweltkosten in die Preisbildung eingebaut werden können. Ihm werde bei der Betrachtung der heutigen Situation zu häufig vergessen, dass „wir seit 1990 schon einiges in der Klimapolitik erreicht haben“. Ziel sei vor 30 Jahren die Klimaneutralität bis 2050 gewesen und „heute haben wir von den angestrebten 40 Prozent Reduktion 36 Prozent geschafft“. Parallel dazu sei es gelungen, die Wirtschaftsleitung der Bundesrepublik als Grundlage des Wohnstands zu verdoppeln. „Ich bin überzeugt: Wir werden die Herausforderungen, die sich stellen, mit unserem marktwirtschaftlichen System lösen.“ Raus aus der Negativ-Politik Für Deutschland komme es darauf an, wieder mehr Mut und Zuversicht zu haben. „Unser Glas ist nicht halbleer“, so Merz. Allerdings sei ein Umdenken notwendig, denn „zu oft haben wir uns an den Gedanken gewöhnt, dass wir schon gut sind.“ Als ein Beispiel nannte er die Automobilindustrie, die Jahrzehnte führend war. Während Tesla Elektroautos „als Datenmaschine baut, mit der man auch ein bisschen fahren kann“, würden in Deutschland aktuell Autos mit Elektroantrieb entwickelt. Merz: „Es fehlt an einer Technologie- und Gründungsoffensive mit der erforderlichen Offenheit für neue Wege.“ Man einige sich zu häufig darauf, was man nicht wolle. „Wir müssen uns klarer werden, was wir wollen. Deutschland muss wieder raus aus der negativen Konsenspolitik.“ Mit Blick auf die Industrienation Deutschland sagte er: „Nur mit Energie aus Wind und Sonne werden wir unsere Industrie nicht erhalten. Wir brauchen auch hier die Offenheit für neue Technologien für Reaktoren.“ Klares Bekenntnis zu Europa Merz mahnte zudem ein gesamtheitliches Denken in der Wirtschaftspolitik an. „Es darf in Deutschland kein ‚Hier die Unternehmer, dort die Arbeitnehmer‘ mehr geben.“ Die Aufgabe aller sei es, mit klugen Weichenstellungen gemeinsam Antworten auf die sich in rasantem Tempo verändernde Struktur der Welt- und Wirtschaftspolitik zu geben. „Die USA hat sich als Weltordnungsmacht immer mehr verabschiedet. Die Chinesen und Russland drängen in die Lücken. Wir brauchen dringend einen einheitlichen europäischen Kurs, wie wir auf diese Entwicklungen reagieren.“ Als Beispiel nannte er die Politik Chinas, die immer mehr Einfluss nehme. Die Chinesen hätten mit 13 EU-Staaten bereits Einzelvereinbarungen geschlossen und „dabei Wohlverhaltensklauseln gegenüber der chinesischen Staatspolitik zusichern lassen.“ Zudem würde ihre Afrika- und Europastrategie mit neuer Seidenstraße im Duisburger Hafen enden. „Wir müssen uns klar zu Europa bekennen. Wenn es keine EU-Positionen gibt, wird es für Deutschland als Industrienation in Zukunft schwierig. Wir müssen uns entscheiden, ob wir Kreisklasse oder weiterhin Champions League spielen wollen.“ Pandemie: Kein Überbietungswettbewerb Auch die Corona-Pandemie sprach Merz an. „Wir haben das bisher gut bewältigt. In welchem Land möchte man im Moment lieber leben als hier?“, fragte er in die Runde vor Ort und die Teilnehmer, die die Veranstaltung über das Internet live verfolgten. Er sei sicher: „Die tiefen Spuren der Pandemie für unser Wirtschaft werden wir erst 2021 sehen. Darauf müssen wir uns vorbereiten. Dass 2021 die Bundestagswahl sind, macht die Sache nicht einfacher, da droht dann ein politischer Überbietungswettbewerb an Leistungen im Sozial- und Arbeitsmarktsektor.“ Merz sieht für die CDU bei der Wahl 2021 große Chancen. Erstmals in der Bundesrepublik werde kein Amtsinhaber antreten. „Wir können eine Neuausrichtung ohne Rechtfertigungszwang vornehmen“, so Merz, der zugleich deutlich machte, dass „es ich für einen Bruch mit der Merkel-Politik nicht zur Verfügung stehe.“ Es gehe darum, den Weg des Landes bis 2030 aufzuzeigen. Dabei sei für ihn jegliche Zusammenarbeit mit der AfD undenkbar „und wir werden sicherlich auch nicht den Grünen hinterherlaufen, sondern Gespräche aus der Stärke heraus führen“. Für ihn sei die Frage spannend, ob die Grünen einen eigenen Kandidaten für das Bundeskanzleramt benennen, „denn dann müssen sie auch klar bekennen, ob sie eine Regierung mit den Linken und der SPD anführen würden.“ Kanzler? Merz bleibt diplomatisch Apropos Kanzleramt: Wie immer, hielt sich Merz auf die konkrete Frage nach seinen Ambitionen zurück. Seine Antwort war – nach dem obligatorischen Hinweis auf die freundschaftlichen Gespräche mit der CSU nach dem Bundesparteitag - dennoch vielsagend. „Die Fraktionsgemeinschaft mit der CSU ist gesetzt. Wir werden das zusammen angehen. In der Geschichte der Bundesrepublik ist zweimal ein CSU-Kandidat für das Kanzleramt angetreten – 1980 und 2002. Beide Male herrschte innerhalb der CDU große Unzufriedenheit mit der eigenen Parteiführung.“ Er könne sich „nun beim besten Willen nicht vorstellen, dass es diese Unzufriedenheit in der CDU gibt“, wenn die Gespräche mit der CSU nur vier Wochen nach der Wahl des neuen Bundesvorstandes zu Beginn des Jahre 2021 anstünden. Um diesen Bundesvorstand anzuführen, reist Merz bis zum Dezember weiter durch die Lande und hofft auf weitere „Heimspiele“ wie in Lübeck. Denn als zum Abschluss der Landesvorsitzende des Wirtschaftsrates, Dr. Christian von Boetticher, erklärte, dass Merz seine Unterstützung habe und auf die Mehrzahl der Stimmen der Delegierten aus dem Kreisverband Pinneberg setzen könne, gab es erneut zustimmenden Applaus.