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Bericht
06.11.2018
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Einwanderung keine Lösung für den Arbeitskräftemangel

Die deutsche Wirtschaft braucht für die Bewältigung des bestehenden und sich ausweitenden Arbeits- und Fachkräftemangels kein neues Einwanderungsgesetz, sondern vielmehr bessere Möglichkeiten, sich auf dem weltweiten Markt die erforderlichen Mitarbeiter zu beschaffen. Das ist die zentrale Botschaft des Stormarner Wirtschaftsforum, zu dem die Sektion Stormarn auf Schloß Tremsbüttel eingeladen hatte.
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Drei Vertreter aus der Wirtschaft machten in Impulsvorträgen deutlich, wie sich die Lage aktuell darstellt. Die Botschaft von Thomas Dreyer, geschäftsführender Gesellschafter der combisped Hanseatische Spedition GmbH (Lübeck), war eindeutig. „Es ist in unserer Gesellschaft nicht angekommen, was für ein großes Problem auf uns zurollt. Wir müssen wach werden, sonst gibt es bald Versorgungsprobleme.“ Schon heute würden 45.000 Lkw-Fahrer fehlen und „in den nächsten Jahren kommen jedes Jahr 29.000 fehlende Fahrer hinzu.“ Parallel dazu wachse das Transportwesen um bis zu fünf Prozent jährlich. Das Loch sei nur durch ausländische Kraftfahrer zu schließen, die heute allerdings bereits europaweit wie Söldner arbeiten „und das beste Angebot für sich auswählen.“ Es sei ein Hemmnis, daß die deutschen Spediteure bisher legal nur auf EU-Arbeitskräfte zugreifen können. „Wir brauchen den weltweiten Zugang zu Arbeitskräften ähnlich wie bei den Kreuzfahrtschiffen.“ Das Problem des Mitarbeitermangels sei nicht durch ein Einwanderungsgesetz zu lösen, wie es aktuell in der Koalition in Berlin ausgearbeitet werde. Dreyer: „Die meisten Fahrer wollen gar nicht einwandern, sondern sie suchen gut bezahlte Arbeit in Sequenzen und die Familien bleiben in der Heimat.“

Es sei auch nicht erforderlich, daß die deutsche Sprache beherrscht werde. Dreyer: „Wir stellen uns auf die Fahrer ein und haben Mitarbeiter, die die Sprache sprechen.“ Ganz ähnlich, aber mit einem anderen Lösungsansatz geht Till Hahndorf, geschäftsführender Gesellschafter der Sourceconomy GmbH aus Freiburg an den Fachkräftemangel heran. Er zeigte auf, daß in Deutschland aktuell 55.000 IT-Stellen nicht besetzt sind und dadurch jährlich ein Umsatzvolumen von zehn Milliarden Euro verloren geht. „Das ist ein Desaster. Unsere Branche bekommt die bestehenden Aufträge nicht mehr vom Hof.“ Für die IT-Branche gebe es zwei Lösungsansätze. „Erstens: Wir holen uns Personal aus Drittstaaten für den Standort Deutschland. Zweitens: Wir vergeben die Arbeit ins Ausland, wo die Kapazitäten vorhanden sind.“ Bei Auslagerung müsse in vielen Köpfen in Deutschland „noch ein Knoten gelöst werden, damit die Techniken wie Videokonferenzen selbstverständlich sind.“ Und mit Blick auf das Anwerben für ein Leben und Arbeiten in Deutschland stelle sich für ihn die Frage: „Was haben wir im Vergleich mit anderen zu bieten, damit die besten Köpfe zu uns kommen?“

Während Dreyer und Hahndorf noch nach Lösungen suchen, stellte Aiping Stintzing, Geschäftsführerin des IfT Instituts für Talententwicklung International GmbH (Hamburg), Lösungen für den Pflegebereich vor. Sie ist gebürtige Chinesin und hat sich darauf spezialisiert, junge Chinesen für einige Jahre nach Deutschland zu holen. „Wir kümmern uns darum, dass die jungen Chinesen die Sprache ausreichend beherrschen, sorgen für die Prüfung der Berufsabschlüsse und die Begleitung beim Einstieg in Deutschland.“ Bisher seien so 120 junge Menschen gekommen, und die Abbrecherquote sei sehr gering. Fest stehe, dass die meisten Chinesen befristet in Deutschland bleiben. „Sie wollen hier Erfahrungen sammeln, Geld verdienen und dann wieder nach Hause“, so Stintzing.

Bei der anschließenden Gesprächsrunde, die vom Wirtschaftsrat-Sektionssprecher Uwe Möllnitz moderiert wurde, sorgte dann Sven Hinrichsen, Leiter des Geschäftsfeldes Arbeitsmarkt der Agentur für Arbeit in Kiel, für den Blickwinkel aus der Sicht der Arbeitsmarktexperten. Selbstkritisch merkte er an, daß „die drei beschriebenen Wege kreativere und innovativere Lösungen sind, als es sie bei uns in der täglichen Arbeitspraxis gibt.“ Aus seiner Sicht stammen viele Arbeitsmarktregelungen aus der Zeit, als es um den Schutz der deutschen Arbeitskräfte ging. „Das ist neu zu überdenken, aber auch mit dem Blick, wenn wir wieder einmal eine Krise auf dem Arbeitsmarkt bekommen sollten.“ Auch beim Einwanderungsgesetz müßten neue, pragmatische Ansätze und einfache Wege gefunden werden. Hinrichsen: „Oberstes Ziel muß es bleiben, junge Menschen in unserem Land zu qualifizieren und alle Beschäftigungspotentiale in Deutschland lebender Menschen zu heben.“

Viel Zustimmung gab es in der Diskussion von den Zuhörern des Forums – und es kam zusätzlich die Forderung, Migranten unkomplizierter den Zugang zu einem Job zu ermöglichen, statt eine Hürde nach der anderen aufzubauen. Auch das könne ein Teil der Lösung des
Arbeitskräftemangels sein. / Holger Hartwig