„Gehen die Sheriffs, kommen die Cowboys“
Mit Blick auf die bevorstehenden US-Wahlen, die auch für Deutschland und Europa erhebliche Auswirkungen haben werden, nutzten über 100 Mitglieder und Gäste der Landesverbände Schleswig-Holstein und Hamburg die Gelegenheit, an einer Abendveranstaltung mit Sigmar Gabriel teilzunehmen, ehemaliger Vizekanzler, Wirtschafts- und Außenminister und heute Vorsitzender der Atlantik-Brücke.
Die Atlantik-Brücke bestehe seit 1952, erläuterte Gabriel und hob hervor: „Aus Feindschaft entstand Freundschaft“. Die guten Beziehungen zwischen Europa und den USA, insbesondere zu Deutschland, seien die Voraussetzung für wirtschaftliche sowie politische Stabilität.
Die derzeit größte Herausforderung für die transatlantischen Beziehungen sei die Verschiebung der globalen Handelswege vom Atlantik hin zum Pazifik. Zwei Drittel des Weltsozialprodukts stamme mittlerweile aus dem indo-pazifischen Raum. Zudem fänden sich in diesem Teil der Erde fünf Nuklearmächte wieder. Und vor allem China trage mittlerweile eine Hauptfunktion des globalen Handels.
Des Weiteren spiele die wachsende Weltbevölkerung eine entscheidende Rolle, so Gabriel weiter. Gab es vor 60 Jahren lediglich zwei Milliarden Menschen, seien es gegenwärtig sieben Milliarden und 2050 sollen es knapp zehn Milliarden sein. Der Umgang mit diesem stetigen Anstieg werde herausfordernd, insbesondere für den Kontinent Afrika, der seine Bevölkerung bis 2050 vermutlich verdoppeln wird. Die Bewältigung dieser Aufgabe sei von großer Bedeutung, damit Deutschland auch weiterhin von der Globalisierung profitiere.
Den in regelmäßigen Abständen geforderten Rückzug Amerikas als „Weltpolizist“ sieht der 64-jährige Niedersachse kritisch. Wenn man sich umschaue, aus welchen Regionen sich die USA zurückziehen, sehe man schnell, dass sich dort nun autoritäre Mächte wiederfinden würden. Es sei wie in einem klassischen Western: „Gehen die Sheriffs, kommen die Cowboys“. Auch mit Blick auf Europa hält Gabriel ein anhaltendes Engagement der USA bezüglich des Ukraine-Krieges für notwendig. Putin versuche, die Grenzen Europas zu verschieben, was aber vor allem dank der militärischen Unterstützung Amerikas nicht gelinge. Laut Gabriel ist es essenziell, Putin in die Schranken zu weisen, um auch nachfolgenden Generationen ein sicheres und friedliches Leben in Europa bieten zu können.
Über die anstehenden US-Wahlen äußerte sich der Sozialdemokrat besorgt. Ein Wahlsieg von Vize-Präsidentin Kamala Harris sei nicht so realistisch, wie es momentan scheine. Und ein Sieg von Ex-Präsident Donald Trump hätte negative Auswirkungen, nicht nur für die transatlantischen Beziehungen. Trump würde seine Entscheidungen treffen, ohne Deutschland oder Europa miteinzubeziehen. So würde er sehr wahrscheinlich einen Deal mit Putin aushandeln, über die Köpfe der Europäer und der Ukrainer hinweg. Trump würde dem „Washington-Konsens“ den Rücken kehren und somit keine Handelsbeschränkungen beseitigen, sondern neue hinzufügen. Amerika würde protektionistisch werden, was gravierende Folgen hätte, vor allem für die Export-Nation Deutschland.
Sigmar Gabriel ließ aber auch Raum für Hoffnung. Der Westen habe Erfahrung darin, in kurzer Zeit zueinander zu finden. So gab es nach 1945 schnell einen breiten Konsens, ein vereintes Europa zu gründen. Es habe nicht einmal eine Generation gebraucht, um „von Auschwitz nach Brüssel“ zu kommen. Aus Gabriels Sicht brauche es jetzt jedoch wieder eine „Partnerschaft der Stärke“. Zudem müsse Deutschland deutlich pragmatischer werden und populistischen Antiamerikanismus bekämpfen.