Mehr Austausch und Harmonisierung erforderlich
„Die Zukunft der Weltwirtschaft und die europäisch-russischen Beziehungen“ – das war das Thema einer Diskussionsrunde, zu welcher der Internationale Kreis Hanseregion der fünf norddeutschen Landesverbände des Wirtschaftsrats eingeladen hatte. In der Runde mit Vertretern aus der Wirtschaft und der Politik wurde deutlich: Die Wirtschaft wartet dringend auf Antworten und Initiativen aus der Politik, wie die außenwirtschaftlichen Beziehungen in den russischsprachigen Raum belebt und zugleich mit einer Harmonisierung der Standards versehen werden können.
Prof. Dr. Stefan Liebing, Sprecher Schleswig-Holsteins im Internationaler Kreis Hanseregion, machte in seiner Anmoderation deutlich, dass es aktuell wenig Aussagen der Parteien in den Programmen gäbe, wie es mit den Außenwirtschaftsbeziehungen in der nächsten Legis-laturperiode weitergehen soll. Wenn überhaupt, dann fände man - wie bei den Grünen - wei-tere Regulierungsideen. Dabei sei die Notwendigkeit „einer zielführenden Strategie für die Außenwirtschaftsbeziehungen aktueller denn je“, so Liebing.
Ziel: Standards von Lissabon bis Wladiwostok
Wieso es einer neuen Strategie bedarf, zeigte mit einem Impulsreferat mit der Überschrift „Perspektiven der Wirtschaftsregion Lissabon-Wladiwostok“, Ulf Schneider, geschäfts-führender Gesellschafter der Schneider Group GmbH (Berlin), auf. Der gebürtige Reinbeker hat seit 20 Jahren in Moskau ein großes Beratungsunternehmen für Firmen, die im russischsprachigen Raum aktiv sind, aufgebaut. Schneider: „Die EU hat mit fast allen Regionen der Welt ihre wirtschaftlichen Beziehungen über Abkommen geregelt. Ein weißer Fleck ist die Eurasische Wirtschaftsunion – kurz EAWU.“ Zu diesem Zusammenschluss gehören heute Russland, Armenien, Belarus, Kasachstan und Kirgisistan. Schneider: „Die EAWU zielt auf einen Binnenmarkt, der wie die EU funktioniert.“ Mit der Initiative „Gemeinsamer Raum Lissabon – Wladiwostok“, der sich inzwischen mehr als 100 Unternehmen und Verbände aus zwölf Ländern angeschlossen haben, gehe es darum, Wege zu finden, Regulierungen auf beiden Seiten anzugleichen. „Wir hoffen, dass wir es erreichen, dass die Regierungen ihren Kommissionen das Mandat geben, offiziell über Angleichung von Standards zu sprechen.“ Man wisse, dass es auf der politischen Ebene mit Russland und Belarus nicht einfach sei, aber „auf der Ebene der wirtschaftlichen Beziehungen läuft es nicht schlecht“, so Schneider. Antworten für die Zukunft zu finden sei auch deshalb notwendig, da sich China mit der neuen Seidenstraße aufstelle und „es wichtig ist, dass wir dann aus der EU heraus einen multipolaren Ansatz für die Wirtschaftsbeziehungen haben.“
Agrarsektor: Anteil am Weltmarkt verdreifacht
Die Bedeutung und Entwicklung russischsprachiger Ökonomien zeigte in einem Kurzreferat Prof. Dr. h.c. Thomas Glauben, Direktor am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Trans-formationsökonomien in Halle, auf. Er richtete seinen Blick auf den Agrarbereich. Im Agrar-handel habe sich der Anteil der russischsprachigen Akteure am Weltmarkt verdreifacht. So ist bei Weizen Russland zum größten Exporteur avanciert. „Es ist klar erkennbar, dass nicht nur die Selbstversorgung angestrebt wird, sondern eine zentrale Rolle in der weltweiten Ernährungsversorgung“, so Glauben. Die USA sei in der Schwarzmeerregion fast vollständig vom Markt verdrängt, und auch in boomenden Regionen in Afrika und Asien hätten russische Exporteure die führende Rolle von den U.S.A. übernommen. 2022 werde Russland - mittler-weile auch im Terminhandel aktiv – etwa ein Fünftel der weltweiten Weizenproduktion über-nommen haben – Tendenz weiter steigend.
Der Experte gab allerdings zu bedenken, dass in Russland hohe Subventionen in den Agrar-sektor gehen. „Es sieht nach einer Erfolgsgeschichte aus. Wir müssen abwarten, ob auf Dauer eine Wettbewerbsfähigkeit auf internationalen Märkten ohne massive Unterstützung möglich ist. Mit Blick auf eine Intensivierung der Zusammenarbeit meinte er, dass es vor allem erforderlich sei, nicht die Green-Deal-Regeln der EU 1:1 zu übernehmen und den Fokus neben dem Handel darauf zu richten, die agrarökonomische Ausbildung in den russischsprachigen Ländern zu verbessern. „Die ist eine Katastrophe und 100 Meilen weg von internationalen Standards“, so Glauben.
Energiewirtschaft: In der Praxis funktioniert es
Als ein „Mann aus der Praxis“ berichtet Dr. Christoph-Sweder von dem Bussche-Hünnefeld, Geschäftsführer der GASCADE Gastransport GmbH (Kassel), über den Alltag des Miteinanders im Bereich der Energiewirtschaft. Bisher sei es gut gelungen, gemeinsame Standards zu entwickeln, weshalb das Gas durch pragmatisches Handeln auf beiden Seiten seit Jahrzehnten stabil und kontinuierlich durch die Leitungen liefe. Leider würden in Deutschland sehr viele energiewirtschaftlichen Entscheidungen unter der politischen Brille betrachtet und nicht so wie durch die eines Kaufmanns. Aus seiner Sicht sei es erforderlich, die Zusammenarbeit weiter auszubauen statt eine Politik der Abgrenzung zu betreiben - auch mit Blick auf neue Energieformen. „Die Zusammenarbeit im Energiesektor gilt als bewährt. Es wurde zwar immer viel gesagt und viel kritisiert an der Politik des andere, aber auf der praktischen Ebene funktioniert es und bietet für die Zukunft weitere Perspektiven.“
Dr. Wadephul: Weiter auf Partnerschaft hinarbeiten
Und wie bewertet die Politik die Perspektiven für die nächsten Jahre? Dr. Johann David Wadephul, stellvertretender Vorsitzender für Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, ordnete die aktuelle Lage als eine Herausforderung ein. Es sei klar, dass weiterhin auf eine gute Zusammenarbeit mit diesem russischsprachigen Wirtschaftraum hingearbeitet werden müsse, auch wenn „es zu viele Regelverletzungen – z.B. Vergiftungen, Umfang mit NGO, menschenrechtswidrige Maßnahmen oder Cyberangriffe - gegeben hat, die nicht akzeptabel sind, und die Friedensordnung in Europa untergraben“. Er machte deutlich, dass die CDU/CSU in der neuen Legislaturperiode in eine neue Phase der Beziehungen starten will, die die gemeinsamen Interessen stärker in den Fokus nimmt, „während die anderen Parteien wohl eher eine stärkere Abgrenzung anstreben“. Ziel müsse es sein, gegenüber Russland deutlich zu machen, dass „die EU eine echte Partnerschaft ohne Dominanzabsicht anstrebt, während die Chinesen nur ihren eigenen Nutzen mehren wollen“. Zu den gemeinsamen Beziehungen müsse dann auch gehören, dass Putin erkenne, dass er in vielerlei Hinsicht eine Verantwortung trägt - anders als es heute bei möglichen Aktivitäten zur Destabilisierung des Westens erkennbar sei.