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Pressemitteilung 03.07.2024
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„Mehr Soziale Marktwirtschaft für Schleswig-Holstein“

Der Wirtschaftsrat Schleswig-Holstein zieht eine kritische Halbzeitbilanz der Landesregierung

Kiel, 03.07.2024: Kurz vor der Sommerpause zieht der Wirtschaftsrat zur Mitte der Legislaturperiode eine durchwachsene Bilanz der schleswig-holsteinischen Landesregierung. Die Rahmenbedingungen haben sich im Vergleich zur letzten Regierungszeit drastisch verändert, sowohl innen- wie außenpolitisch. „Angesichts von Kriegen und Krisen im Ausland sowie einer stagnierenden Wirtschaft und steigenden Zinsen im Inneren muss die Landespolitik ihre Schwerpunkte neu priorisieren“, fordert Dr. Christian von Boetticher, Landesvorsitzender des Wirtschaftsrates Schleswig-Holstein. „Maßstab hierfür muss mehr denn je die Soziale Marktwirtschaft sein, deren Prinzipien Freiheit, Eigentum und Wettbewerb viel stärker in den Vordergrund gerückt werden müssen. Wir müssen Politik wieder stärker vom Individuum her denken, an die Eigenverantwortung jedes einzelnen appellieren und dem einzelnen auch wieder selbst etwas zutrauen. Dabei muss der Staat sich auf seine Kernaufgaben beschränken und beispielsweise Entscheidungen für oder gegen bestimmte Technologien den Marktteilnehmern überlassen. Marktwirtschaftlichen Gesichtspunkte müssen dabei ausschlaggebend sein, nicht Verbote und politisch festgesetzte Zielvorgaben.“

Für ausgewählte Politikfelder kommt der Wirtschaftsrat zu folgenden Einschätzungen:

Immobilien- und Bauwirtschaft

Im Zusammenhang mit den vielen ungünstigen Rahmenbedingungen und einer sehr schwachen Baukonjunktur gerade bei dringend benötigtem Wohnraum sind landespolitische Initiativen unbedingt geboten. Auch bei einer schwierigen Haushaltslage darf Schleswig-Holstein im Bundesvergleich nicht zu den Spitzenreitern bei der Grunderwerbsteuer zählen. Eine Reduktion kann einen Beitrag gerade auch beim Erwerb von Wohneigentum leisten. Mehr Schwung könnten auch die Ansätze zur Reduktion von Verwaltungsbürokratie, zur schnellen Digitalisierung von Verwaltungsvorgängen und die permanente und länderübergreifend abgestimmte Überprüfung von Baustandards sein. Ein etwaiger Rückzug des Landes aus der Städtebauförderung hingegen ist keine gute Idee; hierdurch würden wichtige Investitionsimpulse in den schleswig-holsteinischen Kommunen durch den Verlust von Landes- und Bundesmitteln fehlen.

Digitalisierung

Die Digitalisierung von Verwaltungsverfahren ist eine zentrale Aufgabe der Politik. Die ineffiziente Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und Wirtschaft schwächt die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Unternehmensbezogene Verwaltungsprozesse sind meist sehr umständlich. Hierfür ist ein Gesamtkonzept erforderlich und nicht einzelne E-Government-Lösungen. Andere zentrale Themen wie digitale Identitäten müssen damit mehr in den Mittelpunkt gerückt werden. Beim Thema Daten- und Informationssicherheit wünschen sich KMU mehr Unterstützung. Dabei sind regulatorische Rahmenbedingungen genauso relevant wie eine präventive Aufklärung sowie die Unterstützung im Schadensfall. Cyberangriffe sind mittlerweile so massiv, dass sie ein nationales Sicherheitsrisiko darstellen. Ein effektiver Industrie- und Wirtschaftsschutz und mehr Cybersicherheit müssen dringend sichergestellt werden.

Infrastruktur

Dass die Beseitigung des Erhaltungsstaus bei den Landesstraßen und Brücken, die ab 2019 mit jährlich 90 Millionen Euro vorgesehen war, seit 2024 mit lediglich 80 Millionen Euro im Jahr erfolgen soll, stößt auf Kritik des Wirtschaftsrates. Des Weiteren wurde der Preisstand für das Budget seit Anfang 2022 bis heute nicht angepasst, der Wirkungsgrad der Mittel hat sich auf unter 50 % verkürzt. Der Bedarf an finanziellen Mitteln, um den Erhaltungsstau bei den Infrastrukturen zu beseitigen, steigt folglich exponentiell an. Das Muster, zu lange zu warten und präventivlos zu agieren, ist eine Untugend. Das Bekannte wird hofiert, die Veränderung aufgeschoben. Es besteht die Gefahr der Schließung von Brücken und Straßen. Der öffentliche Sektor ist nicht in der Lage, die erforderlichen Investitionen allein zu tragen. Daher fordert der Wirtschaftsrat die Einbeziehung auch von öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPP). ÖPPs ermöglichen eine schnellere Bereitstellung der Infrastruktur für die Nutzer. Zudem können öffentliche Entscheidungsträger die Projektmanagementkapazitäten privater Akteure nutzen, um sicherzustellen, dass mehrere Infrastrukturprojekte gleichzeitig durchgeführt werden können. Die Leitlinien von Eurostat machen ÖPPs noch attraktiver.

Energiewirtschaft

Kritisch sieht der Wirtschaftsrat den Entwurf für das neue Energiewende- und Klimaschutzgesetz. Er sieht vor, dass auf Neubauten von Gebäuden zwingend Solaranlagen zu installieren sind und dass auch bei Parkplätzen von mindestens 70 Stellplätzen zwingend Solaranlagen installiert werden müssen. Während der Wirtschaftsrat die Klimaziele und die entsprechenden Vorgaben des Bundes unterstützt, muss doch die Art und Weise, wie deren Umsetzung erfolgen soll, marktwirtschaftlichen Mechanismen vorbehalten bleiben. Insbesondere benötigen wir Technologieoffenheit. So kann statt der Installation von Solaranlagen die Beteiligung am Bau von neuen Windturbinen sinnvoller sein oder auch der Einsatz ganz anderer, neuer Technologien. Oder es macht mehr wirtschaftlichen Sinn, grüne Energie günstiger dort zu beschaffen, wo sie zu geringeren Kosten erzeugt werden kann. Ob eine Solarpflicht vor allem in einem Bundesland sinnvoll ist, das derzeit seinen grünen Strom nicht ausreichend nutzen kann, weil es keine Leitungen gibt, sei dahingestellt. All das können Märkte und Anreize regeln, nicht jedoch starre Vorgaben in Gesetzesform. Wir laufen große Gefahr, dass wir so unsere Energieversorgung viel zu teuer und inflexibel gestalten und nicht auf neueste Technologien und Erkenntnisse der Forschung eingehen können. 

Landwirtschaft

In der Landwirtschaft sind mehr faktenbasierte politische Maßnahmen erforderlich. Nur auf dieser Grundlage kann die Frage beantwortet werden, wie der gesellschaftlich gewünschte Transformationsprozess hin zu mehr Artenvielfalt, Biodiversität, Klimaschutz bei gleichzeitiger Versorgungssicherheit aussehen soll. Wenn man bedenkt, dass derzeit erst 8 % der Fläche und 7 % der schleswig-holsteinischen Betriebe Ökolandbau betreiben und 50 % der Ackerfläche im Land immer noch mit Weizen und Mais angebaut werden, ist noch ein beeindruckender Weg zu gehen. Dieser lässt sich nicht mit immer mehr und immer detaillierteren Vorschriften zurücklegen, die den Bürokratieraufwand des einzelnen Landwirts erhöhen. Dies führt zu einem ungewollten Strukturwandel, weil kleine Betrieb den Mut und die Lust verlieren und nur große, moderne Betriebe übrigbleiben. Auch hier lautet die Forderung: Mehr Digitalisierung zur Reduzierung des Aufwandes und zur Vermeidung von Doppelerhebungen.