Mit neuen Konzepten und klaren Perspektiven raus aus der Krise
Es ist einer der wohl meist unterschätztesten Wirtschaftsbereiche Deutschland: die Messe- und Veranstaltungsbrache. Seit der Corona-Pandemie müssen sich 1,9 Millionen direkt und indirekte beschäftigte Arbeitnehmer Sorgen um ihre Zukunft machen. Unternehmen mit einem Gesamtumsatz von 127 Milliarden Euro bangen um ihre Existenz. Wie geht es weiter und was muss die Politik tun? Diese Fragen stand im Mittelpunkt einer Podiumsrunde, die der Wirtschaftsrat in der Wulfsmühle in Tangstedt Schleswig und - mit der kostenfreien Unterstützung von Konferenztechnik Kiel – zugleich als hybride Premiere online mit 25 bundesweit zugeschalteten teilnehmenden Messebaugesellschaften veranstaltete.
Im Fokus des Dialogs stand Dr. Bernd Buchholz, Minister für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus des Landes Schleswig-Holstein. Er zeigte Verständnis für die Sorgen und die Forderungen nach finanzieller Unterstützung der Unternehmen durch den Staat, erteilte einer branchenspezifischen Förderung allerdings eine eindeutige Absage. „Fast alle Wirtschaftssektoren haben ihre Herausforderungen. Der Staat kann nicht unendlich Gelder verteilen“, so Buchholz eindeutig.
Für einen FDP-Minister überraschte er mit einem anderen Ansatz. „Bei den Firmen, die vor der Pandemie kerngesund waren und ein gutes Geschäftsmodell für die Zukunft haben, stelle ich mir vor, dass das Land als Gesellschafter über unsere mittelständische Beteiligungsgesellschaft einsteigt – so, wie es der Bund bei der Lufthansa gemacht hat.“ Damit könnten die Unternehmen mit Liquidität ausgestattet werde, wenn das eigene Polster für die Dauer der Krise nicht ausreiche. „Unser Fokus muss darauf gerichtet sein, diese Firmen über den Winter zu bringen.“
Kunden und Besucher überzeugen
Der Minister machte darüber hinaus deutlich, dass die Politik und die zuständigen Gesundheitsbehörden jederzeit bereit sind, Messen und Veranstaltungen wieder zuzulassen, „wenn das Konzept mit Hygiene und Steuerung der Besucherströme inklusive der An- und Abreise stimmt“. Er sei optimistisch, dass die in Neumünster im September geplante Ausstellung NordBau im kleineren Rahmen stattfinden kann. „Das wäre dann ein Auftakt“, so der Minister. Er könne sich auch vorstellen, dass sich am Rande der Messe auch die Unternehmen, die in Zeiten von Corona praktische Lösungen für den Schutz gegen die Krankheit entwickelt hätten, präsentieren. Für die Branche und ihre Interessenvertreter sei eine weitere Aufgabe sehr wichtig. „Überzeugen Sie die Firmen, dass es sinnvoll ist, sich wieder auf Messen sicher zu präsentieren, und sorgen Sie dafür, dass die Veranstaltungen auch ausreichend Publikum bekommen.“ Er sei überzeugt, dass sich künftig eine Mischung aus virtuellen und Messen mit persönlichen Begegnungen etablieren werden. „Wir lernen gerade, wie wichtig die Begegnung mit Menschen ist. Ich bin überzeugt, dass Messen nach und mit den Erkenntnissen durch die Pandemie eine tolle Zukunft haben.“
40 Prozent der Firmen droht Insolvenz
Zu Beginn der Veranstaltung mit der Überschrift „Zukunft der Messen am Industriestandort des Exportweltmeisters Deutschland“ hatten Branchenvertreter die aktuelle Lage skizziert. Jan Kalbfleisch, Geschäftsführer Fachverband Messe- und Ausstellungsbau (FAMAB), stellte heraus, dass „wir de facto nun sein fünf Monaten ein Berufsverbot haben“. Bis zum Jahresende drohten 40 Prozent aller Unternehmen die Insolvenz. „Deutschland ist bei Messen und Veranstaltungen Weltmarktführer. Will es das bleiben, muss gehandelt werden. Wir brauchen durch die Politik klar umrissene Perspektiven, wie es weitergehen soll.“
Sicherheit notwendig – auch bei Kurzarbeitergeld
Dass es in der Diskussion nicht nur bei einem Blick „von oben“ auf die Branche blieb, dafür sorgte Sabine Lewin, Geschäftsführerin der Preuss Messe-Baugesellschaft mbH aus Holm. Sie zeigte auf, wie ein Familienbetrieb in sechster Generation ums Überleben kämpft. „Wir wollten unseren Betrieb nicht auf Null herunterfahren und haben gemeinsam mit den Mitarbeitern nach Lösungen gesucht.“ Bedingt sei das auch mit Kreativität gelungen, beispielsweise würden jetzt Hausboote gebaut. „Wir brauchen dennoch so schnell wie möglich eine Perspektive, wie es mit den Messen weitergeht“. Alles, was künftig hybrid stattfinde, sei nur eine Ergänzung. Zudem richtete sie den Appell an die Politik, das Kurzarbeitergeld zu verlängern und auch betroffenen Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben, im Unternehmen an zukunftsorientierten Projekten arbeiten zu dürfen.
Aus der Sicht eines Messestandorte berichtete Klaus Liermann, Geschäftsführer der Messegesellschaft Husum: „Das Problem ist die Unsicherheit. Es springen bereits heute die ersten Aussteller für Messen in 2021 ab.“ Sein motiviertes Team habe viele Ansätze entwickelt, wie das Geschäft nach der Pandemie wieder in Fahrt gebracht werden könne. Aber auch er sagt: „Wir brauchen jetzt eine Perspektive. Wenn auch im kommenden Jahr weiterhin so gut wie nichts stattfinden könne, wird es richtig eng.“
Schulterschluss für positive Botschaften
Und wie ist die Lage weltweit? Nicht viel anders, wusste Bruno Meißner, Chef der Firma Meissner Expo GmbH (Halstenbek) zu berichten. Er habe mit Kollegen aus der gesamten Welt engen Kontakt. In den USA – ein wichtiger Markt für deutsche Messebauer – sei alles auf 2021 oder in die virtuelle Welt verschoben. In China gebe es erste kleine Zeichen der Hoffnung. Für ihn stehe fest: „Wir brauchen den Schulterschluss für positive Botschaften. Politik, Verbände und Unternehmen müssen nach draußen transportieren, dass es tragfähige und vor allem sichere Konzepte für Meesen gibt.“ Nur dann gelinge es, Kunden und vor allem auch Besucher zu überzeugen.
Verständnis für die Sorgen der Branche signalisierte Dr. Michael von Abercron, CDU-Bundestagsmitglieds aus Elmshorn. Er sei immer wieder stolz, wenn er höre, dass die Unternehmer mit ihren Mitarbeitern selbst nach Lösungen suchen und das beste aus der Situation machen. Er gehe davon aus, dass es zu einer Verlängerung des Kurzarbeitergeldes komme und machte deutlich, dass „wohl jedem klar ist, dass wir uns es nicht leisten können, diese Branche zu verlieren“. Er zeigte sich optimistisch, dass – ähnlich wie im Sport – die Rückkehr zum Messebetrieb nach und nach gelingen werde.
Bildunterzeile:
Intensiver Dialog über die Zukunft der Messebrache (v.l.): Jan Kalbfleisch (Fachverband Messe- und Ausstellungsbau), Klaus Liermann (Messegesellschaft Husum), Minister Dr. Bernd Buchholz, Sabine Lewin (Preuss Messe-Baugesellschaft mbH), Bruno Meißner ( Meissner Expo GmbH), Moderator Jens Sander (Sektionssprecher Pinneberg Wirtschaftsrat) und Dr. Michael von Abercron (MdB).