Mit Strategie und klarem Fokus zu mehr Gewerbesteuereinnahmen
Die Ausgangslage hat sich komplett gedreht: Während vor vielen Jahren die Kommunen mühsam darum kämpften, für ihre Industrie- und Gewerbegebiete Unternehmen als Investoren und damit als Arbeitgeber und Steuerzahler anzulocken, sind heute gute Lagen in Schleswig-Holstein immer seltener. Das Angebot wird sich durch die politisch gewollte Reduzierung von Flächen-versiegelungen in den nächsten Jahren weiter stark verringern. Die Sektion Segeberg des Wirtschaftsrates hat diese Entwicklung zum Thema gemacht – am Beispiel der Stadt Bad Bramstedt, die mit einem kreativen Konzept aktuell auf Erfolgskurs ist.
Stadt als Unternehmen begreifen
Verena Jeske, seit 2019 Bürgermeisterin Bad Bramstedts, skizzierte im Foyer des Kurhaustheaters, wie sich die Stadt mit ihren 15.000 Einwohnern neu aufgestellt hat. „Wir haben erkannt, dass wir mit Blick auf unseren Haushalt ein Einnahmeproblem haben. Unsere einzige Chance für die Zukunft ist es, mehr Gewerbesteuer einzunehmen. Deshalb verstehen wir unsere Stadt als ein Unternehmen, dass sich mit Blick auf Marketing und Vertrieb als Standort optimal positioniert.“
Neues Motto: Mittendrin
In einem Prozess von etwa eineinhalb Jahren sei unter Beteiligung von Politik, Vereinen, Bürgern und der Wirtschaft ein neues Leitbild entwickelt worden. „Unser Motto in der Wirtschaftsförderung lautet: Mittendrin. Es zielt darauf ab, dass wir uns mit unserer Lage mittendrin im Dreieck zwischen Kiel, Hamburg und Lübeck befinden.“ Bad Bramstedt überzeuge mit seinen vielfältigen Qualitäten und seinem Kleinstadtflair. Das Motto für die gesamte Stadt laute: „Bad Bramstedt. Zum Glück. Besonders.“ „Wir haben funktionierende Strukturen in allen Bereichen von der Innenstadt, über Bildung, Vereine, Freizeitangebote bis hin zu der Möglichkeit, bezahlbar zu wohnen.“ In der Kombination mit dem neuen Gewerbegebiet Nord und dem Gewerbepark Auenland biete man Unternehmen Potenziale für Ansiedlungen und Firmenerweiterungen. Insgesamt habe man etwa 13 Hektar Fläche in der Hinterhand.
Manufakturenviertel als Ziel
Jeschke zeigte auf, wie durchdacht man sich an die Gewinnung von Unternehmen gemacht hat. „Wir haben uns gefragt: Was müssen wir tun, um uns als Medizinstandort weiterzuentwickeln?“ Hintergrund war, dass bereits heute mit den zwei Kliniken und weiteren Firmen etwa 2000 Arbeitsplätze in Barmstedt von der „weißen Industrie“ abhängig sind. Mit diesem Ansatz sei man umgehend erfolgreich gewesen. „Wir freuen uns sehr, dass die Firma Link Medizintechnik zu uns kommt.“ Für die nächsten Jahre gelte es nun, die weitere Infrastruktur – beispielsweise ein Tagungshotel und weitere gute Wohnmöglichkeiten – auf den Weg zu bringen. Zudem ist das Ziel, ein „Manufakturenviertel“ mit Rösterei, Glaserei und Ledermanufaktur zu entwickeln. Dahinter stehe die Idee eines Gewerbegebietes, dass das Motto „Sehen, Erleben, Anfassen“ hat.
Ansiedlung schafft 500 Arbeitsplätze
Den Erfolg, den Jeschke und ihr Team mit der neuen Strategie haben, unterstrich Norbert Ostwald, Geschäftsführer und Executive Chairman of the Board der Waldemar Link GmbH & Co. KG. Der international agierende Prothesenhersteller mit seinen heute 1.200 Mitarbeitern wird in Bad Bramstedt eine weitere Produktionsstätte aufbauen. Dafür hat man etwa sieben Hektar Fläche erworben. Das Investitionsvolumen liegt bei etwa 40 Millionen Euro, 500 Arbeitsplätze sollen geschaffen werden. „Wir setzen auf den Produktionsstandort Deutschland und erwarten weiteres Marktwachstum für unsere Produkte. Wir haben lange nach einem geeigneten Grundstück gesucht und sind hier fündig geworden.“ Oswald betonte, was die Verantwortlichen in Bad Bramstedt in den Gesprächen ausgezeichnet hat. „Hier waren Kompetenz, Lust und Wille zu spüren. Das haben wir anderenorts so nicht erlebt. Das Interesse, die Lage und der Preis der Flächen sowie das gesamte Umfeld haben uns überzeugt.“
Mehr Nachfrage als Angebot im Land
Den Blick auf die Gesamtsituation in Schleswig-Holstein richtete zum Abschluss Dr. Bernd Bösche, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung und Technologietransfer Schleswig-Holstein GmbH (WTSH) in Kiel. Seit 19 Jahren sammelt er Erfahrungen mit der Unterstützung von Firmen bei Innovationen oder in Standortfragen. Er bestätigte, dass sich seit einigen Jahren die Lage gedreht hat. „Heute werden Flächen intensiv nachgefragt. Das hat sich auch trotz Corona nicht geändert. Seit 2016 können wir nicht mehr mit entsprechenden Angeboten gegenhalten.“ Aspekte wie Nachhaltigkeit würden eine immer größere Rolle spielen. Vor allem die Nachfrage aus den Bereichen Gesundheit, Energie und klimaschonender Mobilität sei sehr groß.
Ab 2050 nur noch recycelte Flächen
Die Lage werde sich in den kommenden Jahren weiter verschärfen, wenn der Flächenverbrauch politisch vorgegeben reduziert wird. Dr. Bösche: „Bis 2030 wird der Flächenverbrauch deutschlandweit auf 30 Hektar für alle Bereiche reglementiert. Ab 2050 soll es dann keine weiteren Versiegelungen mehr geben. Ziel ist ein Flächenrecycling.“ Gleichwohl bestehe die Aufgabe, Schleswig-Holstein weiterzuentwickeln und forschende und produzierende Unternehmen ins Land zu holen. „Mit Blick auf das Einkommensniveau haben wir noch deutlich Luft nach oben.“
Langfristig mit Flächen bevorraten
Für Kommunen sprach der WTSH-Chef mehrere Empfehlungen aus. „Sie definieren durch ihre heutigen Entscheidungen, wie die Lebensqualität in 10 bis 20 Jahren in ihrer Region aussehen wird. Erarbeiten Sie ein Profil und entwickeln Sie eine Strategie.“ Dabei sei es wichtig, sich langfristig mit Flächen zu bevorraten. „Bestand und Neuansiedlungen ins Gleichgewicht zu bringen, ist der Königsweg.“ Und mit einem Schmunzeln ergänzte er. „Seit der Rechtschreibreform sagen wir bei uns im Haus: WTSH steht für ,Wir tun Sie helfen‘. Nutzen Sie bei ihren Überlegungen auch die Ansätze und Strategien, die das Land in den Vordergrund stellt.“
Von Holger Hartwig (Agentur Hartwig3c, Hamburg)