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Bericht
05.08.2018
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"Statt Ruhe würde Jamaika mehr unternehmerisches Handeln guttun"

Seit gut einem Jahr wird Schleswig-Holstein von einer Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen regiert. Hat dieses Bündnis die Erwartungen aus Sicht der Wirtschaft erfüllt? Was fordertder Wirtschaftsrat von dem deutschlandweit einmaligen Bündnis bis zum Ende der Legislaturperiode 2021? Diesen und anderen Fragen stellt sich Dr. Christian von Boetticher, Landesvorsitzender des Wirtschaftsrates der CDU in Schleswig-Holstein, im Interview mit Holger Hartwig, Agentur Hartwig 3C.
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Der Spiegel hat im Juni die Jamaika-Koalition in Kiel als Muster-WG bezeichnet und den Akteuren eine gute Bilanz attestiert. Hat Jamaika auch Ihre Erwartungen erfüllt?

Nein, wie auch. Das wäre nach einem guten Jahr kaum möglich. Außerdem wäre es auch ein Wunder, wenn ein Bündnis mit grüner Beteiligung den Erwartungen aus der Wirtschaft gerecht werden würde. Es haben sich im Gegenteil einige böse Überraschungen aufgetan, denen die
Koalition jetzt versucht, Herr zu werden. Insgesamt gebe ich der Koalition die Note 3.

 

Warum die Note befriedigend?

Das Bündnis arbeitet geräuschlos, und es herrscht unter den Beteiligten ein gutes Klima. Das ist in der heutigen Zeit, in der schon innerhalb von CDU und CSU in Berlin die Fetzen fliegen, etwas Besonderes. Nun wissen wir aber bereits aus Schulzeiten, daß der ganz Ruhige nicht automatisch der Beste ist. Ruhe ist für mich nicht oberste Regierungspflicht. Es gilt nämlich: Dort, wo die Ruhe verwaltet wird, bereitet sich niemand auf die Herausforderungen von morgen vor. Manches Mal würde unternehmerisches Handeln, wo das Diskutieren oder konstruktives Ringen um Sachentscheidungen in Führungsgremien selbstverständlich dazu gehört, auch der Kieler Regierung guttun.

 

Sie sprachen von „einigen bösen Überraschungen“...
Ja. Das gilt vor allem für das Thema Verkehrs infrastruktur. Die Unternehmer im Land sind schon enttäuscht, daß das Versprechen vor der Wahl nicht eingehalten wird, sofort mit dem weiteren Bau der A 20 zu beginnen. Nun passiert bis zum Ende dieser Wahlperiode vermutlich gar nichts. Das ist der rot-grünen Vorgängerregierung zu verdanken. Sie hat in grober Weise vertuscht, wie weit der Planungsrückstand tatsächlich war und ist. Das bedeutet im Klartext: An dem noch jahrelangen Stillstand hat der jetzige grüne Regierungspartner einen wesentlichen
Anteil. Die, die fünf Jahre lang dafür gesorgt haben, daß die A 20 nicht vorwärtskommt, loben jetzt, daß es so ruhig ist. Ich frage mich: Warum ist es so ruhig? Weil auch in den nächsten Jahren bei den großen Verkehrswegen nichts passiert. Das wissen die Grünen genau. Unser
gesamtes Land hat das Nachsehen.

 

Haben Sie denn nicht den Eindruck, daß im Bereich der Infrastruktur – abgesehen von der A 20 – mit dem neuen Wirtschaftsminister Dr. Buchholz frischer Wind weht?
Doch. Der Minister, der aus der Wirtschaft kommt, ist in Wirtschaftskreisen absolut geschätzt. Die Defizite, die wir haben, packt er mit Nachdruck und professionell an. Der Minister macht, was er im Moment machen kann. Sicherlich wird jetzt planerisch die Kuh langsam vom Eis geholt. Gleichwohl wird bei den beiden Großprojekten – A 20 und Fehmannbeltquerung  weiterhin lange nichts passieren. Und ich bin sehr gespannt, wie sich die Grünen verhalten, wenn wirklich mit dem Bau angefangen werden kann, und ob – wenn es dann ernst wird – die Koalition dann weiter so ruhig arbeitet. Aus meiner Sicht schlummert hier eine politische Baustelle. Ich befürchte: Nur so lange nichts zu befürchten ist, ist alles schön und alle haben sich lieb.

Trotz Ihrer Kritik haben Sie vor wenigen Wochen gesagt, daß „es spürbar ist, daß an einigen Stellen in Kiel die Ärmel hochgekrempelt werden“. An welche Stellen denken Sie dabei?
Das ist so. Wir merken, daß viel gefördert und vorangebracht wird. Das ist in Zeiten voller Kassen auch nicht so schwer. Mir wird allerdings noch zu wenig von dem aktuell zur Verfügung stehenden Geld für Investitionen und zu viel im konsumtiven Bereich ausgegeben. Im Bildungsbereich verstehe ich das. Aber ob wir wirklich eine zweite Einsatzhundertschaft bei der Polizei brauchen, stelle ich in Frage. Wenn die Steuereinnahmen wieder sinken, wird es zur Belastung, wenn wie jetzt wieder mehr Beamte eingestellt werden, mit der großen Gießkanne durchs Land gegangen und fast jeder Wunsch erfüllt wird. Mehr Vorsicht, mehr unternehmerisches Denken, in guten Zeiten auch etwas zurückzulegen, und eine stärkere Konzentration auf Investitionen und Tilgungen wären wünschenswert.

Gibt es denn für Sie weitere Beispiele für das Hochkrempeln der Ärmel?
Ja, ich finde, daß die Bildungsministerin Prien einen ausgesprochen guten Job macht. Es gibt wieder Schulnoten ab Klasse 3, neue Anforderungen an Deutsch und Mathematik und die Beendigung Rechtschreibexperimente in den Grundschulen, und auch bei der Lehrerausbildung wird etwas für die MINT-Fächer unternommen.

Die Digitalisierung ist eines der zentralen Themen der Zukunft. Setzt Jamaika aus Ihrer Sicht bei diesem Thema ausreichend Akzente?
Hier hat vor allen Dingen die Union einen wirklich kapitalen Fehler gemacht: Wir wissen, daß im Bund zurecht eine zentrale Stelle im Kanzleramt zur Koordinierung geschaffen wurde. Digitalisierung ist eine Querschnittsaufgabe. Aus meiner Sicht kann diese Aufgabe nur von der Spitze gesteuert werden. Auch für Schleswig-Holstein wäre es gut gewesen, wenn die Staatskanzlei eine solche koordinierende, antreibende und verknüpfende Stelle bekommen hätte. Ich muß oben wissen, wohin ich will. Da fehlt es mir an Klarheit und zielgerichtetem Zupacken. Das Thema einer Partei und einem Ministerium zu überlassen, ist aus meiner Sicht gefährlich.

Jetzt macht es das grün-geführte Umwelt- und Landwirtschaftsressort...
Ja, und wir hören aus diesem Bereich bisher absolut gar nichts. Und der neue zuständige Minister kommt bekanntlich aus dem EU-Parlament und hat sich dort um das Thema Datenschutz gekümmert. Jeder Unternehmer kann ein Lied davon singen, welchen bürokratischen Wahnsinn wir in diesem Bereich derzeit erleben. Die meisten Vorgaben kommen mit der Datenschutzgrundverordnung aus Brüssel – und dort hat der neue Minister als Parlamentsberichterstatter maßgeblich an diesen Regelungen mitgewirkt. Mir fehlt die Phantasie, daß dieser Mann, der Big Data vorwiegend unterbinden will, als neuer Digitalminister in unserem Land mit großen Schritten die Digitalisierung voranbringt. Dabei ist das ein Thema, das ganz wesentlich über die Zukunft unseres Landes entscheidet. Das ist eben kein Unterbereich des Datenschutzes, sondern betrifft alle Bereiche unseres Lebens. Und wenn wir nicht US-Konzernen oder den Chinesen die Wirtschaft der Zukunft überlassen wollen, brauchen wir bessere Rahmenbedingungen. Wir benötigen mehr Bewußtsein, wohin wir wollen und nicht weitere Einschränkungen. Sonntagsreden zu diesem Thema werden jedenfalls genug gehalten. Es muss nun endlich mehr angepackt werden.

Was fordern Sie also konkret als Wirtschaftsrat?
Eine Stabstelle in der Staatskanzlei, die auch das zuständige Ministerium kontrolliert und zugleich ressortübergreifend Antreiber ist. Und einen Aktionsplan in jedem einzelnen Ministerium. Es reicht einfach nicht aus, daß wir beim Glasfasernetzausbau in unserem Land durch die vielen örtlichen und dezentralen Initiativen gut aufgestellt sind.

Kritik haben Sie an nach der Regierungsbildung daran geübt, daß für zehn Themen, darunter Häfen, Elektromobilität, Tourismus und digitale Medien von der Koalition Strategien und Konzepte erst erarbeitet werden sollen. Sehen Sie sich heute darin bestätigt?
Ja, wobei es zu früh ist, dort schon ein Fazit zu ziehen. Hier wird die Regierung in den nächsten zwei Jahren – gerade auch bei strittigen Themen – liefern müssen. Ich hoffe, das passiert.

Was sind Ihre Erwartungen für die nächsten Jahre in Kiel?
Es muss der Anspruch der Union bleiben, eine Regierung alleine zu stellen und dann gute Politik zu machen. Das mag jetzt vermessen klingen, aber je mehr Koalition und Partner nötig sind, umso mehr sind lähmende Kompromisse gefragt. Insofern ist Jamaika nur die aktuell beste Lösung. Die Union braucht wieder mehr Selbstbewußtsein.

Aus Sicht des Wirtschaftsrates: Was sind für Sie die TOP 3 Themen, bei denen Jamaika Gas geben muß?
Erstens bei der Verkehrswegeplanung. Zweitens bei der Bildungs- und Forschungsförderung und drittens bei der Frage, wie dem Facharbeitermangel begegnet werden kann. Hier wird es bundesweit erforderlich sein, daß wir ein neues Einwanderungsgesetz schaffen, daß die Einwanderung von hochqualifizierten Kräften nach Deutschland erleichtert und
Rahmenbedingungen schafft, mit denen wir weltweit im Wettbewerb um kluge Köpfe attraktiv sind. Allerdings ist es ein Irrweg, zu glauben, hochqualifizierte Menschen kämen, um unseren Pflegenotstand zu beseitigen. Dazu braucht es schon Änderungen in unserem Sozialsystem.