Viel mehr Mut nach vorne nötig
Stormarner Wirtschaftsforum 2020 zu Onlinebildung an Schulen und Hochschulen
Wenn über die Zukunft der Bildung diskutiert wird, sind die Knackpunkte seit Jahren dieselben: Lernkonzepte, zu wenige Lehrer und eine schlechte technische Ausstattung. Mit der Corona-Pandemie hat die Diskussion über die Qualität der Bildung an Schulen und Hochschulen eine neue Dynamik erhalten. Im Fokus: die Onlinebildung. Beim Stormarner Wirtschaftsforum – dieses Mal als hybride Veranstaltung im Glantz & Gloria in Delingsdorf und über das Internet abrufbar - waren sich die Vertreter aus Ministerium, Lehre und Wirtschaft einig. Es wird höchste Zeit, das gesamte Bildungssystem inhaltlich, organisatorisch und technisch zu modernisieren, um international wettbewerbsfähig zu bleiben und so den Wohlstand Deutschlands erhalten zu können.
Dr. Dorit Stenke, Staatssekretärin aus dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur in Kiel, sieht die Corona-Pandemie als Innovationstreiber: „Wir haben bei der Digitalisierung nicht bei Null angefangen, aber die Pandemie fordert jetzt deutlich beschleunigte Fortschritte bei der technischen Ausstattung von Lehrer und Schülern, aber mit Blick auf die digitalen Kompetenzen.“ Für die Lehrer gebe es inzwischen gezielte Fortbildungsangebote, wie künftig hybrid und mit neuen Konzepten gelehrt werden könne. „Wir werden dennoch zukünftig mehr Geld für die Bildung in Schleswig-Holstein in die Hand nehmen müssen.“
Fast alle Schulen am schnellen Netz
Die Pandemie habe aber die Bedeutung von Schulen als Ort für sozialen Austausch gezeigt, weshalb man den Unterricht nicht komplett in den virtuellen Raum verlegen sollte. Hybrides Lernen sei das Ziel. Schon vor Corona seien 400 der 800 weiterführenden Schulen an das virtuelle Lernnetz und insgesamt etwa 600 Schulen an das Glasfasernetz angeschlossen gewesen. „Weitere 150 werden bis 2023 folgen. Bei 46 Schulen ist bisher kein Anschluss geplant. Hier suchen wir nach Ersatzlösungen“, so Stenke. Dafür stünden 2,3 Millionen Euro bereit. Neben der Anbindung müsse man die Ausstattung von Lehrern und Schülern mit Leihgeräten ausbauen und mehr Administratorenstellen für eine professionelle Betreuung schaffen.
Nicht mehr nach Zeitplänen lernen
Aus Sicht der Hochschulen machte Prof. Dr. Sönke Knutzen, Studiendekan gewerblich-technische Wissenschaften der Technischen Universität Hamburg sowie stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender, Hamburg Open Online University, deutlich, dass es im Kern nicht um die Digitalisierung der Bildung gehe, sondern um disruptive Veränderungen des Lernens. Die Hochschulen hätten ihre Monopole für Inhalte und Zertifikate im Zuge der Digitalisierung und Globalisierung verloren. „Das Spiel des freien und internationalen Marktes ist längst eröffnet. Wir brauchen in Deutschland Innovationssprünge, um unsere Schule und Hochschule international wettbewerbsfähig zu halten.“ Beispielsweise seien strikte Zeitplänen zu überdenken: „Jedes Kind muss in seinem Tempo alles verstehen und dann geht es weiter.“ Man baue bei einem Haus auch nicht die oberen Stockwerke, wenn das Fundament noch nicht fertig sei. Er sei überzeugt, dass die Corona-Pandemie „für uns Zumutung und Chance zugleich ist“.
Qualität der digitalen Lerninhalte steigern
Bei der sich anschließenden Diskussion war die Wirtschaft gefragt. Jan Joswig, geschäftsführender Gesellschafter der Antares Project GmbH aus Kiel, dessen Unternehmen seit 1999 bundesweit eine Plattform für digitale Bildungsinhalte für die Schulen betreibt, berichtet vom sprunghaftem Anstieg bei den Zugriffen auf die digitalen Lerninhalte.“ Dabei sei stets zu beachten, dass digitale Angebote den Lehrern nützen und ihre Arbeit erleichtern. Es würden viele Strukturen geschaffen, dabei jedoch zu wenig auf die Qualität der Inhalte geachtet. „Die Politik muss eindeutige Anforderungen an die Bildungsanbieter digitaler Inhalte setzen, denn die Geschäftsmodelle der klassischen Verlage würden häufig noch an ihren Druckmaschinen hängen.“ Zu oft würden auch Insellösungen in einzelnen Ländern realisiert, und „es gibt eine Art Sozialismus, eigene Entwicklungen zu fördern, während professionelle Angebote bereits im Markt vorhanden seien.
Norbert Basler, Gründer und Vorsitzender des Aufsichtsrates der Basler AG aus Ahrensburg, einem internationalen Anbieter von Kamerasystemen hält eine funktionierende Infrastruktur für eine selbstverständliche Voraussetzung. Deutschlands Anspruch müsse deutlich weiter gehen: „Unser Wohlstand hängt nicht daran, dass wir gut Auto fahren können, sondern ausschließlich daran, dass wir gut Autos bauen können.“ Dieser Anspruch müsse sich in den Lernkonzepten der Schulen wiederfinden. „Es reicht nicht aus, dass junge Menschen lernen, Geräte zu bedienen, sondern sie brauchen Fähigkeiten, diese selbst zu entwickeln.“, so Basler, der digital zugschaltet war. Der Wohlstand Deutschlands sei durch Transformation von Wissen in Produkte und Dienstleistungen gekommen. Das müsse stärker in den Fokus rücken. „Die jungen Leute schauen sich längst über das Internet in der Welt um, was sie für sich an Wissen gebrauchen können.“ Das müsse auch das Bildungssystem machen, um schnelle Schritte nach vorne zu machen.
Gesellschaftliches Mandat für Veränderung
Dr. Peter Rösner, Vorsitzender der Landesfachkommission Bildung und Wirtschaft des Wirtschaftsrates, fragte am Ende seiner Moderation nach den Vorstellungen, wo die Bildung in Deutschland in zehn Jahren stehe. Prof. Dr. Knutzen ist überzeugt, dass „wir uns ärgern werden, dass wir jetzt nicht mehr für Bildung ausgegeben haben, weil unsere Wirtschaft nicht mehr wie bisher gewohnt funktioniert“. Für die Lufthansa seien zur Rettung elf Milliarden Euro im Schnellverfahren bereitgestellt worden, um den fünf Milliarden Euro schweren Digitalpakt wurde lange gestritten. Sein Appell: „Bildung darf kein Luxusthema bleiben.“ Für Dr. Stenke fordert dazu eine gesellschaftliche Diskussion: „Wir brauchen ein politisches Mandat für eine schnelle Veränderung des Bildungssystems.“ Die Bereitschaft zur Transformation werde nicht vom Himmel fallen. Wir brauchen neue moderne Lernkonzepte, neue Formate. Uns läuft die Zeit davon.“
Joswig hofft, dass 2030 nicht mehr in Unterrichtstunden gelernt werde. „Das ist aus meiner Sicht völliger Unsinn. Es sollte in Projekten über mehrere Wochen vor allem die Kompetenz im Umgang mit Informationen und Inhalten ausgebaut werden.“ Basler sieht die Notwendigkeit, die Bildungseffizienz zu verbessern. Der internationale Vergleich zeige, dass es weniger um das Geld pro Schüler gehen könne, sondern um einen besseren Einsatz der Ressourcen. Er hoffe, dass Deutschland schneller von den führenden Wirtschaftsmächten der Welt lerne, wie moderne Bildungskonzepte funktionieren. Süffisant fügt er hinzu: „Die Chinesen werden uns keine Entwicklungshilfe zahlen, damit wir unser Bildungssystem erhalten.“
Die Staatsekretärin dankt abschließend für die Weitung des Horizontes. Das Ministerium sei derzeit vollkommen ausgelastet, die Krise zu managen. Dennoch dürften die zentralen Fragen der heutigen Diskussion nicht aus dem Blickfeld geraten.
Von Holger Hartwig, Agentur Hartwig3c (Hamburg)