Cookie-Einstellungen

Bericht
04.11.2024
Drucken

„Der Arbeitsmarkt ist ein komplexes Gebilde“

Diskussionsveranstaltung der Sektion Herzogtum Lauenburg mit Markus Biercher, Regionaldirektor Nord der Bundesagentur für Arbeit
©Wirtschaftsrat

Wie steht es um den Arbeitsmarkt in Schleswig-Holstein? Wie erklärt sich eine Zahl von rund 90.000 Arbeitslosen angesichts zahlreicher offener Stellen? Und wie entwickelt sich der Arbeitsmarkt perspektivisch? Diese Fragen standen im Mittelpunkt einer Diskussionsveranstaltung der Sektion Herzogtum Lauenburg, zu der Markus Biercher nach Mölln gekommen war, Regionaldirektor Nord der Bundesagentur für Arbeit.

Biercher konstatierte zu Beginn eine zugespitzte Diskussion um den Arbeitsmarkt. Unternehmen litten aktuell unter hohen Energiepreisen, zunehmender Bürokratie, mangelhafter Infrastruktur und unter einem Mangel an Fachkräften. Dennoch könne die Zahl der offenen Stellen nicht einfach der Zahl der Arbeitslosen gegenübergestellt werden, denn: „Der Arbeitsmarkt ist ein komplexes Gebilde.“

In Schleswig-Holstein gebe es nach wie vor einen Aufwuchs der Beschäftigten, daran änderten auch bundesweite Schlagzeilen von einer „Rückkehr der Arbeitslosigkeit“ nichts. Ein entscheidender Unterschied zum Jahr 2005 mit seinen annähernd fünf Millionen Arbeitslosen sei die Demografie: Im Jahr 2025 würden 22.000 Menschen aus dem schleswig-holsteinischen Arbeitsmarkt ausscheiden, 2026 seien es 27.000 und im Jahr 2027 nochmals 26.000 Personen. Von dieser Entwicklung sei der „Speckgürtel“ um Hamburg aufgrund der Zuwanderung aus der Hansestadt weniger betroffen; „bluten“ müssten hingegen Dithmarschen, Steinburg und Nordfriesland.

Maßnahmen

Natürlich gebe es Mittel und Maßnahmen, dieser Entwicklung zu begegnen. Keine davon sei populär und sie könnten den Effekt nur mildern: Der Arbeits- und Fachkräftemangel werde uns noch auf Jahre hinaus begleiten, so Biercher. Nichtstun würde einen Rückgang des Erwerbspersonenpotentials von 20 Prozent bis 2023 bedeuten. Erforderlich sei daher u.a. eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Die Rente mit 63 sei „Gift“, ebenso jegliche Form von Arbeitsreduktion. Teilzeitarbeiter bräuchten Anreize für Mehrarbeit, häufig müsse dafür aber zunächst die Kinderbetreuung sichergestellt werden.

Erwerbsmigration (in Abgrenzung zur Flüchtlingsmigration) sei unverzichtbar. Sie werde in Zukunft aber nicht mehr aus Südosteuropa kommen, sondern aus Drittstaaten. Ein Zuzug von 12.000 bis 20.000 Personen pro Jahr sei in Schleswig-Holstein erforderlich. Zuzüglich der Familienangehörigen. Ob das Land in Bezug auf Wohnraum, KITAs, Schulen und ÖPNV auf diese Herausforderungen vorbereitet sei, fragte Biercher eher rhetorisch. Das Welcome-Center in Kiel sei da sicher nur der erste Schritt.

Arbeitslosigkeit

Die kurzzeitige Arbeitslosigkeit sei für Schleswig-Holstein kein Problem. Dieses Segment sei hochdynamisch und schlage sich im Jahr zweimal um. Problematisch sei hingegen die Langzeitarbeitslosigkeit. Auffällig sei hier die hohe Anzahl von Personen ohne Berufs- oder gar ohne Schulabschluss. Mittlerweile gingen im Bundesland 10 Prozent eines Jahrgangs ohne Abschluss von der Schule ab. Und während die Arbeitslosenquote bei Personen mit Berufsabschluss bei lediglich drei bis vier Prozent liege, sei sie bei Personen ohne Berufsabschluss mit 20 Prozent fünfmal so hoch. An diesem Punkt, der Bildung, müsse man folglich primär ansetzen.