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Standpunkt 10.04.2024
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Standpunkt Steiger: Sozialausgaben zwischen Kanonen, Butter und Eckwerteverfahren

Wirtschaftspolitische Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Wolfgang Steiger

Eine historische Zeitenwende rief Bundeskanzler Olaf Scholz aus und versprach politische Führung. Das Antlitz des Landes werde sich verändern, sekundierte sein Wirtschaftsminister Robert Habeck. Doch diesen großen Ankündigungen steht die offensichtliche Gestaltungsschwäche der Ampel diametral entgegen. Während die Wirtschaft gewohnt ist, sich permanent auf sich ändernde Rahmenbedingungen einzustellen und sich ganze Branchen gerade neu erfinden, gelingt es der Politik nicht, sich aus alten Mustern zu lösen. Das Ergebnis ist, dass Deutschland in eine dramatische Lähmung verfällt.

Ein Paradebeispiel dafür: Bundesfinanzminister Lindner forderte unlängst angesichts klammer Kassen und hartnäckiger Wachstumsschwäche, drei Jahre lang auf neue Sozialausgaben zu verzichten. Er sprach explizit nicht über Kürzungen und stellte sogar heraus, dass selbstverständlich auch die Leistungen, die an Lohn- und Inflationswerte gekoppelt sind, weiterhin entsprechend erhöht würden. Doch vor dem Hintergrund der Nato-Verpflichtungen und demografischen Herausforderungen sei es zumindest geboten, wenige Jahre keine zusätzlichen Geschenke zu beschließen. Die Entrüstungswelle auf seinen Moratoriums-Vorschlag folgte prompt – „sozialpolitischer Kahlschlag“, „gesellschaftspolitisch zerstörerisch“ und „keine Kanonen statt Butter“ schallte es Lindner zurück. „Wir dürfen die Sicherheit nach Außen nicht gegen soziale Sicherheit im Land ausspielen," warnte etwa Grünen-Chefin Ricarda Lang. Bundeskanzler Scholz beendete die Diskussion dann schon im Ansatz - ein Moratorium neuer Sozialausgaben zugunsten der Verteidigungsausgaben werde es nicht geben.

Doch wer diese Ausgaben für sakrosant erklärt, verschließt sich davor, die zuvor selbst beschriebene Zeitenwende politisch abzubilden. Drei Entwicklungen scheinen sich doch klar abzuzeichnen. Erstens werden die Verteidigungsausgaben steigen. Spätestens nach dem Auslaufen des Sondervermögens im Jahr 2028 droht eine harte Abbruchkante und ein 56-Milliarden-Euro-Loch, wenn die Ausgaben anschließend aus dem Kernhaushalt finanziert werden müssen. Zweitens beschweren sich Akteure aller Ampelparteien darüber, dass in den letzten Jahren zu wenig investiert worden sei und der Investitionsstau nun dringend angepackt werden muss. Und drittens wird die anstehende Ausscheidungswelle der Boomer-Generation aus dem Erwerbsleben zusätzlichen Druck auf Ausgaben für Gesundheit und Altersversorgung ausüben.

Dieser Dreiklang muss doch im Haushalt abgebildet werden. Die Herausforderungen der Zeitenwende erfordern zwangsläufig neue politische Akzentuierungen. Doch was macht die Ampel? Statt wie üblich über Haushaltsschwerpunkte und Prioritäten im Eckwerteverfahren zu beraten, werden einfach die Vorjahreswerte fortgeschrieben und Obergrenzen festgelegt. Neue Herausforderungen und sich ändernde Rahmenbedingungen werden schlicht negiert. Die notwendige Strukturverschiebung im Haushalt von konsumtiven Ausgaben hin zu investiven wird nicht angegangen und die überfällige Debatte über Wege, die Finanzierungsgrundlagen des Sozialstaats zu stärken, wird nicht geführt. Doch wenn der Kuchen nicht größer wird (Potentialwachstum in Deutschland nur 0,5 Prozent) und einige ein größeres Stück erhalten sollen (Verteidigung, Infrastruktur), müssen andere zwangsläufig verzichten. Da hilft keine Vogel-Strauß-Politik.

Christian Lindner spricht etwas Offensichtliches aus: Es braucht eine Begrenzung der Sozialleistungen. Deutschland war bereits nach der Jahrtausendwende einmal der kranke Mann Europas. Damals hatten wir den Mut für eine umfassende Reform des Sozialstaats. Gerade auch die hohe Arbeitslosenzahl erzeugte politischen Handlungsdruck. Das ist in Zeiten des Fachkräftemangels offensichtlich anders. Doch daraus abzuleiten, unbequeme Reformen aufschieben zu können, wäre ein fataler Trugschluss. Im Gegenteil, die Arbeitslosenzahl wirkt auch heute, nur andersherum. Hunderttausende offene Stellen - auch für Ungelernte - entziehen den wachsenden Sozialausgaben die Legitimität. Die großen Mehrheiten in Umfragen gegen Bürgergeld-Erhöhungen und für Sanktionen bei Arbeitsverweigerung sprechen hier eine klare Sprache. Umso dringender ist es, eine Debatte über eine große Sozialstaatsreform anzustoßen.