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Bericht
28.04.2021
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Aus den Ländern (Baden-Württemberg) - Einhundert Tage Joe Biden

Die USA im Zeichen der neuen Präsidentschaft - Unternehmer diskutieren mit den USA-Experten Roderich Kiesewetter MdB, Prof. Dr. Thomas Jäger, Paul Linnarz und Eckart Nürnberger
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In der Veranstaltung der Sektion Stuttgart „100 Tage Joe Biden- Die USA im Zeichen der neuen Präsidentschaft“ wurde eine Bilanz der ersten Arbeitserfolge des neuen US-Präsidenten Joe Biden gezogen. Gemeinsam mit Prof. Dr. Thomas Jäger, Roderich Kiesewetter MdB, Eckart Nürnberger und Paul Linnarz diskutierte Sektionssprecher Steffen Beck die ersten Tätigkeiten des Präsidenten und die Erwartungen an die EU.

 

Prof. Dr. Thomas Jäger, Inhaber des Lehrstuhls für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität Köln, zufolge, „erfinde sich Biden gerade neu“, da seine Ziele und sein politisches Handeln nicht mehr mit den Perzeptionen der Demokraten übereinstimmen. Ereignisse wie der Sturm auf das Kapitol als ein Angriff auf die Demokratie, die Pandemie und die daraus resultierende Wirtschaftskrise erfordern eine handlungsfähige und starke Regierung. Biden bricht mit dem klassischen, neoliberalistischen Regierungsmodell von Ronald Reagan, welcher ein minimales Eingreifen der Regierung in den Wirtschaftskreislauf befürwortete. Die Regierung Bidens will zeigen, dass Demokratien gegenüber ihren autoritären Herausforderern effizienter handeln können. Der „Job Plan“, der Infrastrukturplan und der Familienplan setzen den Impuls, das Modell des europäischen Sozialstaates in den USA zu verankern. Der „Job Plan“ sieht die Erhöhung der Arbeitslosengelder und der Direktzahlungen vor. Ein Mindestlohn von 15 Dollar pro Stunde ist ebenso vorgesehen.

 

Eckart Nürnberger, Sprecher der Sektion New York des Wirtschaftsrats, fügte diesbezüglich hinzu, dass er einen geringeren Mindestlohn für realistischer hält. Biden setzt sich ebenso für die Förderung der gewerkschaftlichen Jobs ein, damit Bürger ohne weiterführenden Schulabschluss von einem Einkommen ihren Lebensunterhalt finanzieren können. Der Familienplan enthält Konzepte für eine bessere und kostenlose Ausbildung der amerikanischen Bürger, welche global wettbewerbsfähig  sein sollen und die „amerikanische Wirtschaft tragen sollen“. Der Infrastrukturplan sieht neben dem Ausbau von Straßen, Brücken und Verkehrsanbindungen auch die Verpflegung der älteren Bevölkerung vor. Eine große Herausforderung sei es, diese Pläne durch den Senat zu bringen. Bidens Slogan „Buy American“ - das Kaufen amerikanischer Produkte und das Fördern amerikanischer Forschung, schätzte Jäger als sehr nationalistisch ein, was Teile der Ideologie Trumps wiederspiegelt. 

Roderich Kiesewetter MdB, Obmann für Außenpolitik der CDU/CSU-Fraktion, sieht in der Regierung Bidens die Rückkehr der USA auf die „Bühne der regelbasierten Ordnung“. Durch die Wiederaufnahme des Pariser Klimaabkommens und des iranischen Atomprogramms habe Biden das diplomatische Vertrauen „durch Anstand“ zurückgeholt. Ein weiteres multilaterales Abkommen zwischen Japan und den USA sollte für die Europäer ein Anlass sein, sich wieder intensiver in die transatlantischen Beziehungen einzubringen. Kiesewetter ging auf die sieben großen Prioritäten Bidens für die erste Amtszeit ein.

 

Die ehrgeizigen Ziele Bidens im Bereich der Klimapolitik spalten sowohl die amerikanische Gesellschaft als auch die einzelnen Bundesstaaten. So fallen die Bemühungen in Sachen Energiewende auf föderaler Ebene sehr unterschiedlich aus. Während einige Staaten wie New York und Kalifornien bereits unter Trump in erneuerbare Energien investiert haben, sind andere Staaten noch stark an fossile Energien gebunden. Der Föderalismus ist in diesem Punkt ein Vorteil für Biden, welcher seine Erfolgschancen erhöhen kann. Eine transatlantische Zusammenarbeit sei von großer Bedeutung, so Kiesewetter MdB, zu welcher die EU mit ihrer Spezialisierung in Speichertechnologien und Gleichstrom einen bedeutenden Beitrag leisten kann. Die EU müsse ebenso den „Green Deal“ kritisch betrachten, um die Standards für alle Staaten realistisch umsetzbar zu machen. Der Output eines Staates solle nicht an der Dekarbonisierung gemessen werden, sondern eher an den Investitionen in erneuerbare Energien.

 

Bezüglich der Handelspolitik appellierte Kiesewetter an die Europäer, sich transatlantisch zugewandt zu zeigen und auf das Interesse der USA an Europa einzugehen. Die Verhandlungen des Transatlantischen Freihandelsabkommens - TTIP sollten wieder aufgenommen werden. Würde das Angebot seitens der EU nicht angenommen werden, werden die USA ihren Handelsfokus auf den Pazifischen Raum (Handel mit Japan, Indien, Neuseeland und Australien) verlegen, was eine neue Normierung der Handelsstandards nach sich ziehen würde. Für europäische Unternehmen, besonders für KMUs, würde dies zu hohen Anpassungskosten und Marktzugangsschwierigkeiten führen.

 

Roderich Kiesewetter MdB sprach sich ebenso für einen Abbruch von Nord Stream 2 aus und für eine standhafte Haltung gegenüber China und Russland, in Form von weiteren Sanktionen. Kiesewetter betonte, dass die USA das „Backing der westlichen Welt“ benötige.

Im Bereich der Sicherheitspolitik merkte Kiesewetter an, dass die Forderungen Bidens und Trumps ähnlich sind, jedoch durch unterschiedliche Umgangsformen geäußert werden. Kiesewetter sprach sich für eine Partnerschaft zwischen den USA und der EU aus. Die EU solle der Forderung der USA nachgehen, die eigenen strategischen Interessen in den benachbarten Gebieten mehr wahrzunehmen, um den „USA den Rücken für den Ausbau der Welthandelswege in Südostasien weiter freizuhalten“. Zu den Konflikten zählen unter anderem die Auseinandersetzungen in Syrien nach Abzug der amerikanischen Truppen, der Konflikt in der Ukraine und in der Türkei im Hinblick auf Nordzypern. Die USA fordert von der EU mehr Verantwortung im Bereich der Sicherheitspolitik. So sollen osteuropäische Sicherheitsinteressen nach Brüssel gebracht werden wie zum Beispiel die bodengebundene Luftverteidigung für Osteuropa und eine Annäherung an das „Zwei-Prozent-Ziel“.

 

Der Erfolg Bidens im Hinblick auf die Pandemiebekämpfung zeigt, wie schnell sich ein Staat vom „Corona-Leugner in einen erfolgreichen Vorreiter“ verwandeln kann. Die Pandemiebekämpfung verhilft Biden ebenso dabei, die Effizienz der Demokratie hervorzuheben.

Im Bereich der Migration zog Biden die von Trump verhängten Einreiseverbote zurück. 

 

Paul Linnarz, Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Washington, D.C. erklärt, dass das bemerkenswerte Tempo der Regierung sowohl außenpolitisch als auch innenpolitisch die größte Herausforderung darstellt. Die Schnelligkeit der Biden-Regierung fokussiert sich auf den Gewinn der Zwischenwahlen. Biden habe aus den „Fehlern ehemaliger demokratischer Präsidenten“ gelernt und wolle nun „keine kleinen Brötchen mehr backen“, so Linnarz.  Aus demokratischer Sicht führte eine zu große Kompromissbereitschaft gegenüber den Republikanern zu der Niederlage der Demokraten bei den Zwischenwahlen und zu einem Stocken der Konjunkturprogramme (der American Recovery and Reinvestment Act 2009 unter Obama und der New Deal 1930 unter Roosevelt). So konnten während der Finanzkrise 2008 die Republikaner zahlreiche Änderungsanträge durchbringen, was zu einer Summenkürzung von 30 Mrd. Dollar führte. Biden lernt ebenfalls aus dem Vorwurf gegenüber Obama, der Öffentlichkeit nicht ausreichend politische Entscheidungen erklärt zu haben. So sind Biden und seine Minister sehr medienpräsent.

 

Des Weiteren verfolgt Biden einen „whole of government approach“. Dieser interdisziplinäre Ansatz besagt, dass alle Schwerpunkte der Außenpolitik von allen Behörden und Ministerien wahrgenommen werden. Die Verhandlungen der Umweltstandards im Rahmen der G7 sind nicht nur an Klimainteressen gebunden, sondern ebenso an strategische Investitionsfragen, wie chinesische Auslandsinvestitionen oder an russische Aufrüstungsstrategien in der Arktis. Der „whole of government approach“ sei eine große Herausforderung für die EU  in der Zusammenarbeit mit den USA.

 

Eckart Nürnberger, Sprecher der Sektion New York des Wirtschaftsrats, geht auf verfassungstechnische und finanzielle Herausforderungen und Hürden von Bidens Plänen ein. Biden sieht eine weltweite Mindestbesteuerung der Weltkonzerne Google, Apple, Facebook und Amazon vor sowie eine „fair share of taxation“, bei welcher Verdiener von über 400.000 Dollar pro Jahr Sonderbelastungen erhalten. Darüber hinaus sieht Biden einen weltweiten Mindeststeuersatz in der „Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ vor, was in der EU für Unstimmigkeiten sorgt, insbesondere seitens Irland und Luxemburg. Eine weitere mögliche Einnahmequelle für die Finanzierung des „Jobs Plans“ ist der „Made in America Tax Plan“, welcher eine Erhöhung des Körperschaftssteuersatzes von 21 auf 28 Prozent vorsieht - unter Trump wurde der Körperschaftssteuersatz von 35 auf 21 Prozent gesenkt. Biden plant ebenso eine gezielte Förderung der Betriebsprüfungsaktivität, um Steuerhinterziehungen vorzubeugen.