Klimaziele, Energiesicherheit und Wettbewerbsfähigkeit – Baden-Württembergs Sonderrolle in Deutschland gestalten
Galt Baden-Württemberg jahrzehntelang als eines der wirtschaftsstärksten Bundesländer in Deutschland, wächst bei immer mehr Bürgern die Sorge, dass diese Spitzenposition aufgrund von Herausforderungen, wie etwa des Klimawandels, verloren gehen könnte. Kann ein Spagat zwischen Ökonomie und Ökologie also überhaupt gelingen? Darüber diskutierten Michael Jesberger, Geschäftsführer und COO der TransnetBW GmbH, Andreas Jung MdB, stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU und umweltpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Daniel Karrais MdL, Vorsitzender des Ausschusses für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft und Sprecher für Digitalisierung, Klimaschutz und Glücksspiel der FDP/DVP-Landtagsfraktion Baden-Württemberg, Jürgen Thormann, Head of New Technologies der SCHWENK Zement GmbH & Co. KG und Managing Director der CI4C GmbH & Co. KG sowie Maike Schmidt, Vorsitzende des Klima-Sachverständigenrats Baden-Württemberg und Leiterin des Fachgebiets Systemanalyse im Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg bei einer vom Wirtschaftsrat in Kooperation mit der TransnetBW GmbH organisierten Veranstaltung in der Liederhalle in Stuttgart.
Nach einer kurzen Begrüßung durch Marc Stoffel, Sprecher der Sektion Stuttgart, forderte die Moderatorin Annett Urbaczka die Gäste auf der Bühne zum Einstieg auf, ein individuelles Statement abzugeben. So nutzte beispielsweise Jürgen Thormann seine Redezeit, um einen Einblick hinsichtlich der Probleme zu geben, mit denen sich Unternehmen hierzulande aktuell konfrontiert sähen. In diesem Kontext machte er deutlich, dass es in Zeiten steigender Energiekosten für Unternehmen immer schwieriger werde, gegen Konkurrenz aus dem Ausland zu bestehen, die teilweise nicht an so starke Umwelt- und Emissionsauflagen gebunden sei. Allerdings legte der Geschäftsführer eines Zementwerks gleichzeitig dar, dass immer mehr Kunden Erzeugnisse mit gutem CO2-Fußabdruck bevorzugten. Thormann sei daher der festen Überzeugung, dass sich eine möglichst klimaneutrale Produktion auf lange Sicht dennoch auszahle. Zustimmung erhielt er dabei von Maike Schmidt. Diese äußerte zudem ihre Freude darüber, dass die Politik mit den erst kürzlich beschlossenen Klimapaketen endlich „notwendige Schritte der Verantwortung“ gegen die menschengemachte Erderwärmung in die Wege geleitet habe. Zudem äußerte sie als Wissenschaftlerin die Hoffnung, dass durch mehr Forschung auf dem Gebiet der Erzeugung von grünem Wasserstoff neue und effektivere Lösungen gefunden werden könnten, um Probleme wie den Energiemangel zumindest teilweise zu lösen.
Im Anschluss an diesen kurzweiligen Stellungnahmen bekamen die Zuhörer die Möglichkeit, sich mit den fünf Referenten auszutauschen. Viel Aufmerksamkeit erregte dabei die in erster Linie an die beiden Politiker gerichtete Forderung, angesichts der in die Höhe schnellenden Ölpreise eine Aufhebung der Sanktionen gegen Russland zu erwägen. Diesem Postulat erteilte Andreas Jung jedoch sofort eine eindeutige Absage. Der CDU-Politiker stellte unmissverständlich klar, dass derartige Überlegungen in Zeiten, in denen in der Ukraine jeden Tag zahlreiche Zivilisten getötet würden, für ihn nicht in Frage kämen. Darüber hinaus handle es sich bei den Wirtschaftsblockaden, die Deutschland gegenüber der Russischen Föderation erlassen habe, keinesfalls um die entscheidenden Gründe für den Anstieg der Energiekosten, wie sich mit einem Blick auf den Startpunkt der Preissteigerungen eindeutig belegen lasse.
Ebenfalls Gegenstand ausführlicher Debatten wurde der seitens des Publikums geäußerte Zweifel, ob es der Bundesregierung gelinge, die Versorgungssicherheit mit Gas, welches ein Großteil der Haushalte dringend zum Heizen benötige, auch gegen Ende des Jahres noch zu gewährleisten. Leider konnte Experte Michael Jesberger diesbezüglich nicht zur Beruhigung beitragen. Stattdessen gab er unumwunden zu, dass es zum Beispiel im Falle einer länger anhaltenden Kälteperiode durchaus zu Engpässen kommen könne. Er erteilte der politischen Spitze daher den Rat, sofort in Erfahrung zu bringen, ob Nachbarländer wie Frankreich oder die Schweiz über die notwendigen Kapazitäten verfügten, um Deutschland im Ernstfall auszuhelfen.
Am Ende stellte Urbaczka allen fünf Diskutanten die Frage, was sie, sofern sie die erforderlichen Möglichkeiten dazu hätten, noch innerhalb der nächsten drei Monate unbedingt verändern wollen würden. Sie bat die Anwesenden dabei ausdrücklich, gemäß des Titels der Veranstaltung auch die Sonderrolle Baden-Württembergs zu berücksichtigen. Direkte Rückmeldung erhielt Urbaczka dabei unter anderem von Daniel Karrais. Dieser bemängelte, dass man sich „im Ländle“ im Gegensatz zu anderen Teilen der Bundesrepublik noch häufig selbst im Wege stehe. Zur Untermauerung seiner These erklärte Karrais, dass es eigentlich problemlos umsetzbar sein sollte, auf zahlreichen öffentlichen Flächen oder entlang von Autobahnen und Landstraßen im großen Stil Photovoltaikanlagen zu errichten, um die bestehende Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern. Allerdings sei eine Umsetzung dieses Projekt auf Grund von zu hohen bürokratischen Hürden gar nicht erst in Erwägung gezogen worden. Infolgedessen schloss er mit dem dringenden Appell: „Lassen Sie uns unser Potential endlich voll ausschöpfen!“