Anspruch und Wirklichkeit von öffentlichen Vergabeverfahren in Hessen und Deutschland
Der Wirtschaftsrat Hessen im Gespräch mit dem Wirtschaftspolitischen Sprecher der hessischen CDU-Landtagsfraktion, Heiko Kasseckert, und Frank Lohse, Gesellschafter der cenario solutions GmbH, zu den Herausforderungen von öffentlichen Ausschreibungen für kleine und mittelständische Unternehmen.
Die politischen Rahmenbedingungen bestimmen immer mehr das wirtschaftliche Wirken von Unternehmen. Diese Rahmenbedingungen werden zunehmend von Bürokratie und Regulierungen beherrscht. Frank Lohse, der über 30 Jahren geschäftsführender Gesellschafter eines mittelständischen Software-Unternehmens war, erklärt, dass viele Regularien eigentlich dazu gedacht sind, vor einer Willkür im Öffentlichen Vergaberecht zu schützen. Allerdings haben diese mittlerweile einen Umfang angenommen, der für viele kleine und mittelständische Unternehmen in keinem Kosten-Nutzen-Verhältnis mehr steht. „Ich konnte beobachten, dass seit vielen Jahren steigende Komplexität und zunehmende Verrechtlichung dazu führen, dass der Verfahrensaufwand für Behörden, aber auch für die Wirtschaft oftmals höher sind als der eigentliche Beschaffungswert“, erklärt Lohse. Die Konsequenz ist, dass es für viele KMU fast unmöglich geworden ist, an den Verfahren teilzunehmen. Oftmals bedinge die Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen das Hinzuziehen von Rechtsbeiständen oder Beratern. Dies sei mit hohen Kosten verbunden, welche zu Beginn nicht kalkulierbar seien. Nach Einschätzung des Unternehmers, wird die Corona-Krise den Trend des Rückzuges von KMU, an öffentlichen Ausschreibungen, noch verstärken. Vor diesem Hintergrund begrüßt er die Initiative der Landesregierung, das Hessische Vergabe- und Tariftreuegesetz zu überarbeiten und auf die aktuellen Gegebenheiten anzupassen.
Der hessische CDU-Landtagsabgeordnete, Heiko Kasseckert, erklärt, dass die Gesetzgebung rund um öffentliche Ausschreibungen regelmäßig auf der Tagesordnung der zuständigen Ausschüsse steht. Derzeit liege ein erster Entwurf zur Referentenabstimmung vor. Kasseckert geht deswegen davon aus, dass bereits im 2. Halbjahr ein Entwurf zur ersten Abstimmung im hessischen Parlament vorliegen werde. Die öffentlichen Ausschreibungen in Hessen haben im deutschlandweiten Vergleich den höchsten Schwellenwert. Zudem sei mit der Finanzkrise 2008/09 ein weiteres Interessenbekundungsverfahren eingeführt worden. Allerdings habe dies in Zusammenhang mit den hohen Schwellenwerten mittlerweile dazu geführt, dass man in Hessen von zwei Ausschreibungsverfahren spreche. Konsequenz sei, dass der Aufwand für viele Unternehmen unheimlich hoch sei und der Prozess unheimlich lange dauere. Auch Kasseckert konnte eine zunehmende Fokussierung auf formal und juristisch richtige Vorgehensweisen beobachten, die dazu führe, dass die Verwaltungsmitarbeiter noch einen Umweg zur Prüfung auf Richtigkeit nehmen, bevor eine Entscheidung getroffen wird. „Dies ist allerdings nicht im Sinne des Gesetzgebers gewesen“, so Kasseckert. So freut es den wirtschaftspolitischen Sprecher zu verkünden, dass das Interessenbekundungsverfahren aus dem neuem Vergabegesetz gestrichen und die Schwellenwerte angepasst werden. Für Kasseckert bietet die Corona-Krise die Chance, Vergabeverfahren zu beschleunigen. „Wir können es uns nicht leisten, notwendige Investitionen am Ende noch mit langen Ausschreibeverfahren zu überziehen. Wir müssen die Krise als Möglichkeit nutzen, zusätzliche Erleichterungen und Vereinfachungen zu schaffen.“
Auch der Wirtschaftsrat sieht in der jetzigen Situation die Chance, Missstände aufzudecken und Lösungen zu implementieren. Aus diesem Grund wird sich der Landesverband Hessen auch weiterhin intensiv dem Thema widmen und das Gespräch mit der Politik suchen, um eine für den Mittelstand adäquate Lösung zu finden.