Frankfurter Unternehmerfrühstück: Regulierungswahn in Deutschland?!
„Antrag auf Erteilung eines Antragformulars…“ - schon 1977 brachte der deutsche Musiker Reinhard Mey den deutschen Regulierungswahn auf den Punkt, in dem sich die deutsche Wirtschaft auch heute noch gefangen sieht. Wenn an einer Stelle bürokratische Hürden entfernt werden, tauchen sie an einer neuen Stelle – manchmal noch schlimmer – wieder auf. Und wenn Deutschland dann etwas vereinfacht bzw. entbürokratisiert, steht das Bürokratie-Monster EU mit neuen Vorschriften vor der Tür.
Wie sehr die Finanzbranche von der Problematik betroffen ist, erklärte Hans Joachim Reinke, Sprecher der Sektion Frankfurt/Main, in seiner Begrüßung.
Dr. Thorsten Lieb MdB, Stellv. Vorsitzender des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, erläuterte zunächst die Lage in Deutschland: Die Bürokratiebelastung sei in den letzten 10 Jahren konstant geblieben, sie betrage rund 65 Milliarden Euro. Ein geplantes Entlastungsvolumen von drei Milliarden Euro sei hier nur ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. „Bürokratie kostet nicht nur, sie bindet auch Ressourcen“, so der studierte Rechtsanwalt. Deshalb fordert der FDP-Politiker unter anderem Praxischecks für neue Gesetzesentwürfe. Sind die geplanten Regulierungen umsetzbar in der Praxis? Haben sie auch einen stichfesten Zweck und bedeuten nicht nur zusätzliche Bürokratielast? Doch er sieht sich optimistisch gestimmt, innerhalb der Politik sei eine zunehmende Eigendynamik wahrnehmbar. Sein Fazit am Ende: „Politik als Partner für die Unternehmen und nicht als ihr Kontrolleur, mehr Vertrauen in ihre Fähigkeiten und ein Paradigmenwechsel im ganzen Land, was das Verständnis von Bürokratie betrifft.“
Prof. Dr. Dr. h.c. Ulrich Battis, Rechtsanwalt für Öffentliches Recht und Regulierung bei der Kanzlei GSK Stockmann, sprang in seinem Impuls von der Bundes- auf die EU-Ebene, welche die Hauptursache des ganzen Regulierungswahns in Deutschland und Europa sei. „Der europäische Gerichtshof schafft immer mehr Normen und Rechtsprechungen, obwohl sie eigentlich als Deregulierungs-Instanz gedacht war – Stichwort Europäischer Binnenmarkt, so Prof. Battis. „Hinzu kommt dann auch noch Deutschland als Ausnahmenation in Europa, welches zusätzlich „Goldplating“ betreibt.“ Ein Beispiel wäre die allbekannte DSGVO. Auch nach deren Einführung hält der deutsche Gesetzgeber noch immer an alten und über die DSGVO hinausgehenden Standards fest. Sein Appell am Ende: „Digitalisierung ist die Basis von Fortschritt – auch in Sachen Bürokratieabbau, optimistisch an das Thema herangehen und sich der Aufgabe langfristig widmen.“
In der anschließenden Diskussionsrunde mit den Teilnehmern, berichteten einige von ihren branchen-spezifischen Erfahrungen und brachten Lösungsvorschläge ein. So ist der Föderalismus in Deutschland als grundlegendes Problem vieler bürokratischer Hürden genannt worden. Auch wurde das Kommunikationsdefizit zwischen Wirtschaft und Politik kritisiert. Einig waren sich sowohl die beiden Referenten wie auch die Teilnehmer darin, dass es viele gute Beispiele in den umliegenden Nachbarländern gibt, die zeigen, wie es funktionieren könnte. So gibt es in Lettland bereits eine App für bürgerliche Belange, in Deutschland hingegen kostet allein eine Fahrzeugzulassung beispielsweise oft mehrere Wochen, bis dann alle Behördengänge abgeschlossen seien.
Wir bedanken uns bei der GSK Stockmann Rechtsanwälte Steuerberater Partnerschaftsgesellschaft mbB für die freundliche Unterstützung der Veranstaltung.