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Bericht
06.02.2024
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„NACHGEFRAGT“ bei Prof. Dr. Georg Milbradt, Ministerpräsident a.D.

Veranstaltung mit Prof. Dr. Georg Milbradt, der u. a. eindrücklich die Herausforderungen unserer Zeit schilderte
©Wirtschaftsrat

Im Hotel Elbflorenz konnte unsere neue Veranstaltungsreihe „NACHGEFRAGT“ starten. Renommierte Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft gehen zunächst in den Dialog mit dem Landesvorsitzenden Dr. Dirk Schröter und im Anschluss mit Mitgliedern und Gästen des Wirtschaftsrates. Obwohl man Prof. Dr. Milbradt rein äußerlich als „alten weißen Mann“ bezeichnen kann, und diese Bezeichnung vielerorts in Deutschland als verpönt gilt, so müsste man nur einen Buchstaben in der Bezeichnung ändern, um vom umfangreichen politischen, wie auch volkswirtschaftlichen Wissensschatz Georg Milbradts zu profitieren. Denn vor uns saß ein „alter weiser Mann“, der eine analytisch starke Zustandsbeschreibung unseres (Bundes-)Landes abgeliefert hat. In einem Parforceritt, immer mit historischer Komponente – in der Zeitspanne von der Geburt Georg Milbradts bis heute, konnten wir viel erfahren, über politische Erfolge und Versäumnisse im bundespolitischen Geschehen insbesondere seit den 60er Jahren. Im Kalten Krieg galt das Prinzip der wechselseitigen Abschreckung; die Nachkriegsordnung endete 1990 mit der Deutschen Einheit. 

Mit Verweis auf das Buch von Francis Fukuyama „The End of History and the Last Man“ schilderte Georg Milbradt eindrücklich die Herausforderungen unserer Zeit und stellte heraus, welchen Herausforderungen moderne liberale Gesellschaften ausgesetzt sind. Für Deutschland war zunächst die Integration der DDR in die BRD zu organisieren, der Balkan-Krieg flankierte die damaligen internationalen Verwerfungen – Kriegsszenarien sind also keineswegs eine Seltenheit, sondern waren im kleineren oder größeren Stil immer Teil der Gegenwart.

2024-02-06 Foto2_Milbradt.jpg(v.l.n.r.) Prof. Dr. Georg Milbradt, Ministerpräsident a.D.; Dr. Dirk Schröter, Landesvorsitzender des Wirtschaftsrates in Sachsen (Foto: Wirtschaftsrat)

Demografische Verwerfungen auf der Welt bringen seit 2014 neue Probleme mit sich – wir befinden uns seitdem auf der Suche nach einer neuen (Welt-)Ordnung, die auch höhere militärische Ausgaben für Deutschland impliziert. Heute gibt es wieder revisionistische Kräfte, die geltende historische Positionen und Ankermarken, stellenweise mit unmittelbarer Gewalt, umkehren möchten. Hier sieht Milbradt vor allem Russland (Ukrainekrieg), den Balkan (Konflikt Serbien-Albanien), aber auch China (China-Taiwan-Konflikt, neue Seidenstraße) als Akteure an, die territoriale Grenzen verschieben möchten. Ökonomisch befindet sich Europa in der Mitte der zwei Weltmächte China und USA und darf nicht von diesen „zerdrückt“ werden. Nach wie vor sei der Wettkampf um Rohstoffe entscheidend. Vor diesem Hintergrund erhebt sich für den Analytiker zwangsläufig die Frage, warum es in Deutschland nicht möglich sein soll, eigene Rohstoffe zu nutzen (Erdgas, CO2-Abspaltung, Lithium, Seltene Erden, Uran), sondern diese teuer aus dem Ausland einzukaufen. Die Stärke Russlands schöpft sich nicht etwa aus dessen Wirtschaftskraft, vielmehr aber aus dem Arsenal an Atomwaffen. 50 Prozent der weltweit existierenden Atomwaffen sind im Besitz Russlands – keine zu verachtende Bedrohung!

Aktuell spüren wir „tektonische“ Verschiebungen auf der Welt – ein seit Jahren wirtschaftsstarkes China, eine innovationsgetriebene USA und der nahe Osten mit Abu Dhabi, Quatar, Dubai, Oman (reich an Erdöl, aber den aktuellen Entwicklungen der Kernenergie aufgeschlossen) treffen auf ein mit schrumpfender Wirtschaftsleistung versehenes Deutschland. Demografische Verwerfungen mit einer Bevölkerungsexplosion in Afrika führen zu Migrationsbewegungen dorthin, wo die Pull-Faktoren für Migranten hoch und die Anforderungen an diese gering sind. Nach Deutschland wanderten aktuell viele Gering- oder Nichtqualifizierte ein, aber viele Hochqualifizierten ab – eine fatale Entwicklung für den Sozialstaat und dessen Systeme! 

Seit den klassischen Ökonomen Adam Smith und David Ricardo wissen wir, dass sich der Welthandel lohnt, wenn man sich auf die Produktion der Produkte spezialisiert, die man relativ kostengünstig herstellen kann. Dies hat aber zur Folge, dass bei in Deutschland hohen Lohnkosten, einer hohen Steuerlast sowie extremer Bürokratie sogar die Arzneimittelproduktion nach China aus der Hand gegeben worden ist. Hier sollte man künftig über eine zu verstetigende Lagerhaltung nachdenken, um strategische Abhängigkeiten zu reduzieren. Galt Deutschland einst als „Apotheke der Welt“, so herrscht heute Medikamentenmangel im Land. Der Status „Exportweltmeister“, den Deutschland einmal innehatte, ist aber nicht zwangsläufig ein Garant für Wohlstand. Denn gemäß der saldenmechanischen Logik der Deutschen Leistungsbilanz, bedingt ein Warenexport zunächst auch einen Kapitalexport, das heißt die Lieferungen werden erst später bezahlt, als geliefert. Wenn aber Staaten nicht liquide genug sind, um die Lieferungen zu bezahlen, bleibt ein Exportland auf diesen Kosten sitzen. Vergleichbar mit einer Person ohne Finanzmittel, die beim Kneipenwirt ständig anschreiben lässt und letztlich nicht bezahlt bzw. bezahlen kann. Das sollte ein weitblickender Kneipier frühzeitig erkennen und entsprechend gegensteuern.

2024-02-06 Foto1_Milbradt.jpg(Foto: Wirtschaftsrat)

Zu bedenken ist aber auch, dass der Ruf von Unternehmern nach Subventionen vom Staat bei jedweder Krisenlage zwangsläufig die Bürokratie ansteigen lässt. In unserem Land ist generell eine Art Paternalismus eingekehrt – man ruft nach einem alles regelnden Staat und hat hohe Forderungen an diesen, ist aber immer weniger bereit, etwas für das Gemeinwesen zu leisten. Dies ist einer der vielen Paradoxien, die uns Georg Milbradt hat wissen lassen. Hier muss man aber bedenken, dass die Steuerlast in Deutschland für Bürger und Unternehmen vergleichswiese hoch ist und weitere Leistungen an einen überbordenden Staat bei Rekordsteuereinnahmen von der Bevölkerung nicht mehr getragen werden will. Da der Staat den Wirtschaftsakteuren nicht jedes Risiko abnehmen kann, so ist eine adäquate Risikovorsorge gefragt. Der Staat sollte sich auf die Kernbereiche „Gewährung der inneren und äußeren Sicherheit“, Infrastruktur und Gesundheit konzentrieren und im Erhardschen Sinne die Schiedsrichterfunktion und nicht die Rolle als Spielmacher im Wirtschaftsgeschehen einnehmen.

Die deutsche Industrie wurde sukzessive auf einer nicht ausreichenden Binnen-Energiebasis aufgebaut – man hat zu spät oder gar nicht auf diese Abhängigkeiten vom Ausland reagiert. Was kann man also vor allem im Freistaat Sachsen tun, um für die Zukunft besser aufgestellt zu sein als heute? Menschen hierzulande sind die wichtigste Ressource – in diese muss investiert werden und der Bildungsgrad hoch gehalten und gesteigert werden. Das macht in einer globalen Welt aber auch die generelle Verbesserung der Fremdsprachenkenntnisse notwendig. Dazu gehört aber auch, Modelle, wie in Kanada oder Australien in der Migrationspolitik zu verfolgen, wo vordergründig Zuwanderung von Menschen mit höherem Bildungsstand als ihn die einheimische Bevölkerung hat, erfolgt und konkrete Kriterien an die Zuwanderer gestellt werden. Dieses System ist so aufzusetzen, dass es auf die Zukunftsbranchen  - Künstliche Intelligenz, Bio-Technologie und nach wie vor Automobilindustrie - ausgerichtet ist. Nicht kürzer, sondern wieder länger arbeiten sollte die Devise lauten, will man den Wohlstand und die Sozialsysteme dauerhaft erhalten. 

Die Rente sollte an die gestiegene Lebenserwartung angepasst werden. Will man attraktiv für die Köpfe von morgen sein, muss unbedingt das Steuersystem vereinfacht und entrümpelt werden. Die Bürokratie könnte – und das ist eine Forderung des Wirtschaftsrates – durch die konsequente Umsetzung der „one-in-two-out-Regel“ wirksam bekämpft werden, das heißt für jedes neue Gesetz müssen mindesten zwei alte fallen. Wenn wieder mehr Netto vom Brutto übrig bliebe, Fehlsteuerungen, wie steigendes Bürgergeld zurück gefahren würden – könnte auch der Wille zur Leistung in und für Deutschland wieder zunehmen. 

2024-02-06 Foto3_Milbradt.jpgÜberreichung der Ehrenurkunde an Prof. Dr. Georg Milbradt für seine 10-jährige Mitgliedschaft im Wirtschaftsrat (Foto: Wirtschaftsrat)

Wir danken Herrn Prof. Dr. Georg Milbradt für seine Einblicke und analytischen Betrachtungen und freuen uns, den ehemaligen Ministerpräsidenten und Finanzminister Sachsens seit mittlerweile 10 Jahren in unseren Reihen zu wissen.