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Bericht
13.07.2023
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4-Tage-Woche in Deutschland – ein Modell für die Zukunft?

Morning Briefing mit Holger Schäfer, Senior Economist für Beschäftigung und Arbeitslosigkeit am Institut der deutschen Wirtschaft
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Der Fachkräftemangel stellt Betriebe vor herausfordernde Situationen. Durch immer weniger Mitarbeiter können Teile des Produktionsprozesses nicht mehr gewährleistet werden. Gleichzeitig verstärkt sich der Wunsch der Arbeitnehmer in Deutschland nach kürzeren Arbeitszeiten und damit mehr Freizeit. In der Diskussion kommt immer wieder das Modell einer 4-Tage-Woche auf. Dem Tenor mancher Studien nach soll mit einer verkürzter Arbeitszeit, gleichzeitig die Work-Life Balance und die Produktivität der Arbeitnehmer gesteigert werden. Wie sehen die bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu diesem Arbeitsmodell aus und ist dies auch in Deutschland darstellbar? Die Sektion Villingen-Schwenningen/Donaueschingen begrüßte Holger Schäfer, Senior Economist für Beschäftigung und Arbeitslosigkeit am Institut der deutschen Wirtschaft, zu einem digitalen Morning-Briefing, um diese Thematik zu erörtern.

Nach einer Begrüßung durch Sektionssprecher Gerrit Woerner begann Schäfer mit seinen Ausführungen. In Deutschland findet momentan überwiegend das klassische Modell einer 5-Tage-Woche bei voller Arbeitszeit in den Unternehmen Anwendung. Der Trend entwickelt sich allerdings hin zu einem Wunsch nach einer Arbeitszeitverkürzung. Das Problem bei einer kürzeren Arbeitswoche besteht jedoch darin, dass in Deutschland eine gesetzliche Höchstarbeitszeit von 10 Stunden besteht. Diese ist bei vier Arbeitstagen und bei einer gleich bleibenden Vollarbeit schwer umsetzbar. Daher arbeitet aktuell die Mehrheit der Beschäftigten 10-30 Stunden auf vier Tagen in der Woche verteilt. Der Wunsch nach weniger Arbeit besteht in der Gruppe Gutverdienender schon länger. Diese können es sich oftmals finanziell leisten, weniger zu arbeiten. Bei den geringverdienenden Arbeitnehmern mit einer niedrigeren Qualifikation liegt der Wunsch hingegen nach einer Arbeitszeitverlängerung. Das Problem besteht darin, dass beide Gruppen sich nicht ausgleichen, um die Produktivität in einem Betrieb zu erhalten.

In Island und Großbritannien wurden zwei Studien durchgeführt, die die Auswirkungen einer 4-Tage-Woche auf die Produktivität sowie die Wertschöpfung der beteiligten Unternehmen untersuchten. Schäfer führt aus, dass aus den Ergebnissen keine erhöhte Produktivität bei einer Arbeitszeitverkürzung abzuleiten ist. Diese wurde im Studiendesign nicht konsistent gemessen. Die Produktivität konnte in vielen Fällen oftmals nur durch eine Reorganisation der Prozesse durch kürzere Meetings, sowie Kaffeepausen oder teilweise auch durch Überstunden durch die Beschäftigten gehalten werden. Die Umsätze der Unternehmen konnten in dem Zeitraum durch diese zusätzlichen Maßnahmen gehalten oder sogar gesteigert werden. Die Auswahl der beteiligten Unternehmen in beiden Ländern ist nicht aus allen Branchen zusammengesetzt, wodurch die Repräsentativität fehlt. Die beiden Studien lassen also nur bedingt Rückschlüsse auf die Auswirkungen einer 4-Tage-Woche in der Arbeitswelt zu.

Laut ökonomischen Berechnungen müssen in den Unternehmen bei einer vollständigen Verkürzung der Arbeitswoche auf vier Tage, die Produktivitätsreserve um 25% gesteigert werden, um die Wertschöpfung zu halten. Dieser Wert ist laut Schäfer nur sehr schwer zu erreichen, da die gleiche Arbeitsleistung oftmals bei kürzerer Arbeitszeit nicht erreicht werden kann. Die in den 80er Jahren begonnenen Digitalisierungsprozesse haben ebenfalls nicht zu einer deutlichen höheren Produktivität in der Arbeitswelt geführt. In Deutschland entwickelt sich ein demografisches Problem, sodass bis zum Jahr 2030 eine Lücke von über 4 Millionen Arbeitskräften bestehen wird. Ein Teil der Lösung muss Fachkräftezuwanderung sein, da die junge Generation diese Lücke nicht alleine schließen kann. Diese wurde bisher über Zuwanderung aus vor allem osteuropäischen Ländern gelöst. Viele Staaten in der Region haben jedoch in der Zukunft das gleiche Problem. Er kritisiert den oftmals fehlenden gemeinsamen Konsens innerhalb der Politik, um geeignete Lösungen für die Maßnahmen zu finden.

In der anschließenden Fragerunde ist die hohe Teilzeitquote in Deutschland angesprochen worden. Dieser Befund spricht gegen die Anwendung des neuen Models, zumal es aufgrund des demografischen Problems eine höhere Vollbeschäftigungsquote oder eine Anhebung des Rentenalters braucht. Anreize für eine höhere Vollzeitquote der Beschäftigten könnten hier Lohnsteuersenkungen sein, damit sich auf dem Gehaltszettel die vermehrte Arbeit wiederspiegelt. Die Teilnehmer des Morning Briefings haben den Eindruck, dass die Arbeitnehmer eine flexible Ausgestaltung ihrer Arbeitszeit schätzen. Der Gesetzgeber sollte hierfür bessere Voraussetzungen für die flexiblere Gestaltung zulassen, indem etwa die Höchstarbeitszeit von 10 Stunden pro Tag dehnbar ausgelegt wird. Aufgrund des Fachkräftemangels sind die Arbeitnehmer momentan in einer besseren Verhandlungssituation nach Forderungen zur Verkürzung der Arbeitszeit. Die Gewerkschaften haben das Thema momentan nicht prioritär auf ihrer Agenda, da der Inflationsausgleich eine wichtigere Rolle in den Tarifverhandlungen spielt.

Schäfer prognostiziert, dass es unter den aktuellen Bedingungen schwierig darstellbar ist, die Arbeitswoche zu verkürzen. Schlussendlich ist es eine gesamtgesellschaftliche Diskussion, inwiefern die Frage nach mehr Arbeit und höheren Wohlstand sowie Konsum oder weniger Arbeit und dafür mehr Freizeit beantwortet wird.