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Bericht
28.07.2023
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Berufsorientierung in Zeiten des Fachkräftemangels

Diskussion mit Theresa Schopper, Ministerin für Kultur, Jugend, und Sport, und Prof. Dr. Regina Nolte, Geschäftsführerin Kolping Gesundheitsschulen GmbH
©Wirtschaftsrat

Unternehmen in allen Branchen klagen über zu wenig Fachpersonal, um wirtschaftlich effektiv arbeiten zu können. Der Fachkräftemangel ist eine Gefahr für den wirtschaftlichen Standort in Deutschland, da mit Renteneintritt der starken Babyboomer-Jahrgänge vermehrt Arbeitnehmer fehlen werden. Besonders gravierend ist der Personalmangel in der Gesundheitsbranche, bspw. bei Pflegekräften. Hier fehlen laut Prognosen bis zum Jahr 2030 bis zu 300.000 Fachkräfte, die für die Versorgung einer alternden Gesellschaft existentiell sind. Aus der Politik kommen deshalb vermehrt Initiativen, schon verstärkt in allen Schulformen für jüngere Altersklassen verpflichtende Berufsorientierung anzubieten. Ist die frühzeitige Berufsorientierung ein geeignetes Mittel, um den Fachkräftemangel zu begegnen und welche kurzfristigen Lösungen bieten sich für dieses Problem an? Die Sektion Stuttgart begrüßte die beiden Referentinnen Theresa Schopper, Ministerin für Kultur, Jugend, und Sport in Baden-Württemberg, und Prof. Dr. Regina Nolte, Geschäftsführerin Kolping Gesundheitsschulen GmbH, in den Räumlichkeiten der Kolping Gesundheitsschule in Stuttgart.

Nach einer Begrüßung durch Sektionssprecher Steffen Beck begann Schopper mit dem ersten Impuls, dieses Thema aus der Sichtweise der Politik zu erörtern. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist bedingt durch den demographischen Wandel nicht positiv. Immer weniger Schulabgänger sind zukünftig als Arbeitskräfte verfügbar, während vermehrt Arbeitnehmer in den nächsten Jahren in Rente gehen werden. In den Schulen sinkt außerdem leider das Leistungsniveau, sodass ein vermehrter Teil der Schülerschaft in den Vergleichsuntersuchungen nicht mehr die Mindeststandards in Lesen, Rechnen und Schreiben erfüllt. Dieses Defizit will die Politik durch intensive Förderprogramme aufholen. Länder wie Kanada sollen als Vorbild für die Investition in Bildung und auch die Integration von Zuwanderern an Schulen dienen. Die Kultusministerin betont, dass bewährte Mittel, wie die Schuleingangsuntersuchung weiterhin als wichtige Anker bestehen bleiben, damit auch hier schon der Stand der Kinder erhoben wird.

2023_07_25 Schopper

Ein probates Mittel von Seiten der Politik zur Behebung dieses Problems ist außerdem die frühzeitige Berufsorientierung an allen weiterführenden Schulformen. Diese ist im Fach Wirtschaft an den allgemeinbildenden Gymnasien angesiedelt. Für die Zukunft wird eine strategische Zusammenarbeit mit Unternehmen forciert, die mit den Schulen Partnerschaften eingehen. Schopper erhofft sich dadurch, dass unter den Schülern auch das Interesse für nicht akademische Berufe geweckt wird. In den letzten Jahren ist eine deutliche Zunahme von Studenten an den Universitäten zu erkennen, von denen jedoch vielen nach dem 1. oder 2. Semester das Studium abbrechen. Die ganzen Maßnahmen sollen wissenschaftlich begleitet und evaluiert werden, um daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Erfolgreiche Maßnahmen haben gleichzeitig auch einen positiven Effekt auf den Arbeitsmarkt und die Wirtschaft.

Der darauffolgende Impuls von Prof. Dr. Regina Nolte ging auf die Sichtweise der Bildungsträger zu dieser Thematik ein. Die größten Engpassberufe auf dem deutschen Arbeitsmarkt sind in der IT, Ingenieur und der Gesundheitsbranche zu finden. Viele Unternehmen in diesem Bereich haben Probleme, offene Stellen schnell zu besetzen, was mit Effizienzeinbußen im Arbeitsprozess einhergeht. Vor allem in der Gesundheitsbranche wird der Mangel durch eine alternde Bevölkerung in der Pflege und bei Landärzten durch eine unzureichende Versorgung schon aktuell sichtbar. Die Politik ist hier gefordert, die Attraktivität durch bessere Arbeitsbedingungen sowie finanzielle Rahmenbedingungen zu erhöhen.

2023_07_25 Nolte

Vor allem in der jüngeren Bevölkerung sieht Nolte ein Problem. Die „Generation Z“ hat andere Anforderungen an den Arbeitgeber und legt einen deutlichen Wert auf ihre Work-Life Balance. Sie fühlen sich nicht mehr an ihre Arbeitsstelle gebunden und fordern schon sehr früh gute Karriereperspektiven. Gleichzeitig wird auch das hohe Anspruchsdenken sowie eine oftmals fehlende Allgemeinbildung bemängelt, sodass auch bei Berufseinsteigern oder Auszubildenden Grundanforderungen im sozialen und mathematischen Bereich nicht mehr erfüllt sind.

In der Diskussion ist die Wichtigkeit der Bedeutung der Berufsorientierung in den Schulen aus dem Plenum ebenfalls hervorgehoben worden. Die Schaffung passender Rahmenbedingungen ist eine Aufgabe der Politik, damit für den Arbeitsmarkt vermehrt das Interesse an nicht-akademischen Berufen in den Mangelbranchen geweckt wird. Der Stellenwert der Real- und Hauptschule/Werkrealschule muss wieder in der Gesellschaft erhöht werden, damit die Kinder die optimal auf sie zugeschnittene Förderung erhalten. Dabei sollen Initiativen zusammen mit den Jobcentern etwa in Form der Ermöglichung von Praktika weiter geführt werden, die sich an die Schulformen neben den allgemeinbildenden Gymnasien richten. Die Bewältigung der durch den demographischen Wandel geschaffenen Probleme wird eine gemeinschaftliche Aufgabe der Politik, der Wirtschaft und der Gesellschaft sein.