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Bericht
19.10.2022
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Globalisierung reloaded - wie sollen Unternehmen und Staat auf den Russland-Schock 2022 reagieren?

Morning Briefing mit Prof. Dr. Dalia Marin, Professorin für Internationale Wirtschaft an der TUM School of Management der Technischen Universität München.
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Im digitalen Morning Briefing der Sektion Heilbronn, moderiert durch den Sektionssprecher Dr. Raid Gharib, stellt die Referentin zunächst fest, dass die Globalisierung auf dem Rückzug sei. Dies sei allerdings nicht erst seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, sondern vielmehr bereits seit der Finanzkrise der Fall. Besonders diejenigen Unternehmen hätten seither ihre Produktion aus dem Ausland zurückverlagert, die menschliche Arbeitskraft durch einen Roboter ersetzen könnten. Die niedrigen Zinsen seit der Finanzkrise hätten zudem Investitionen in Roboter erleichtert. Dass Deutschland durch den Rückgang des Offenheitsgrads ärmer werde, stehe für Prof. Marin fest.

Mit dem Rückzug der Globalisierung und der Schwächung der Lieferketten gehe auch der Welthandel insgesamt zurück. Dennoch sei die Globalisierung nicht am Ende, man verzeichne aber auf jeden Fall eine stärkere Regionalisierung. Unternehmen, die ihre Produktion nicht komplett zurückverlagern könnten, diversifizieren ihre Produktion in verschiedenen Regionen. Bemerkbar sei vor allem ein Rückzug der Lieferketten aus dem asiatischen Bereich und eine verstärkte Zulieferaktivität in Osteuropa. Dual-Sourcing sei die Devise.

Daran schließt Prof. Dr. Marin mit ganz praktischen Tipps für Unternehmen an, wie sie sich in einer zunehmend unsicheren Welt aufstellen können. Essenziell sei dabei die schon genannte Diversifizierung – statt auf einen Zulieferer zu setzen, sollten, wenn möglich, zwei bis drei Zuliefererbeziehungen parallel bestehen. Besonders die vorgelagerten Zulieferer müssten so sicherer gemacht werden. Bei manchen Zuliefererprodukten brauche es jedoch auch den Staat, denn die Konzentration von Chip- oder Batterieproduktion im asiatischen Bereich, stelle eine durchaus heikle Situation dar. Als Reaktion wurde beim vergangenen G7 Gipfel ein stärkerer Produktionsaufbau in den USA und in Europa beschlossen.

In Bezug auf die Energiekrise stellt Prof. Marin fest, dass die Unternehmen in den vergangenen Jahren stark von den niedrigen Preisen profitiert hätten. Durch die aktuelle Situation würde sich  nun die Wettbewerbssituation deutscher Unternehmen denen anderer Länder angleichen. Die Referentin geht allerdings davon aus, dass Russland nicht langfristig als Energielieferant ausfallen wird.  Außerdem sei Deutschland eine sehr anpassungsfähige Volkswirtschaft, weshalb sicherlich Wege aus der Krise gefunden würden. Ein Ansatz sei, wie bereits genannt, die Neustrukturierung der Vorleistungsstruktur – diese Diversifizierung gelte jedoch nicht nur für einzelne Unternehmen, sondern auch für den Staat. Dass dies auch erkannt wird, zeige bspw. der European Chips Act. Jedoch bestehe bei derart hohen Förderungen auch die Gefahr von Fehlinvestitionen, wie man bspw. bei Chinas Investitionen in KI sehen könne. Subventionen sollten, so schließt Prof. Marin, bedacht gewählt werden. So sehe man, dass durch die massive Förderung Teslas durch die Biden-Administration, der Standort in Brandenburg an Attraktivität verliere. Ein Subventionswettbewerb müsse unbedingt vermieden werden. Dennoch deute vieles darauf hin, dass es zu einem Wettrennen Europas und den USA um die Subventionierung von Chips und grüner Technologie kommen werde. Prof. Marin mahnt dennoch an, dass Unternehmen sich nicht zu sehr auf den Staat verlassen dürften, sondern entweder selbst ihre Vorleistungen produzieren oder vermehrt Lagerbestände aufbauen müssten – es gilt in Zukunft mehr just in case als just in time.

Dennoch wagt sie auch einen positiven Ausblick und kommt auf den Brain Drain aus Russland zu sprechen. Hier sieht sie eine Chance, dass hochqualifizierte Fachkräfte nach Deutschland kommen, wenn die richtigen Anreize gesetzt werden. Weiter erkennt sie ein Potenzial an Produktivitätsgewinnen, das bislang nicht voll ausgeschöpft wird. Durch den Einsatz von Robotern könnten nicht nur Menschen durch Maschinen ersetzt werden, sondern komplett neue Möglichkeiten erschlossen werden.